„Die Regierungen stehen unter Druck“

Herta Däubler-Gmelin fordert weltweite Strafbestimmungen gegen Rassismus und Hetzpropaganda im Internet

taz: Hetzpropaganda und Rassismus im Internet werden vom deutschen Verfassungsschutz schon länger beobachtet. Nun haben Sie mit dem Simon-Wiesenthal-Zentrum und der Friedrich-Ebert-Stiftung eine Konferenz darüber abgehalten. Welche neuen Erkenntnisse hat die Bundesministerin der Justiz dabei gewonnen?

Herta Däubler-Gmelin: Die wirklich neue Erkenntnis für mich ist, dass wir bei der Wirtschaft noch sehr dafür werben müssen, dass sie sich diesen gemeinsamen Schritten anschließt. Aber das werden wir tun. Neu war für mich auch, dass dazu eine Menge an Bereitschaft besteht.

Das Abschlussdokument der Konferenz fordert einen „globalen Wertekonsens“ und einen internationalen „Mindestbestand an Strafbestimmungen“. Nun bestehen aber amerikanische Firmen darauf, dass auch das, was in den USA unter dem Begriff hate speach zusammengefasst wird, zur Meinungsfreiheit gehört, wie sie im First Amendment der amerikanischen Verfassung definiert ist. Sie sehen nicht ein, warum gerade dies besonders ehrwürdige Bürgerrecht beschränkt werden soll. Was spricht dagegen, im globalen Internet das First Amendment gelten zu lassen?

Das ist eine Kultur, die sehr viel Wert auf rein individuelle Standards legt, die aber auf der anderen Seite eher in Kauf nimmt, dass der Jugendschutz unterlaufen werden kann, die in Kauf nimmt, dass Hassverbrechen geschehen und Appelle an fanatische Einzeltäter verbreitet werden. Die Frage, ob die Abgrenzung der Freiheit des Einzelnen von der Verantwortung der Gesellschaft oder auch von der Verantwortung gegenüber der Gesellschaft in den USA besser gelöst ist als in den europäischen Rechtssystemen, ist nicht nur eine philosophische, sondern auch eine ganz praktische Frage. Ich denke, dass wir mit unserem System eine Menge gute Erfahrungen gemacht haben.

Die Konferenz hat gezeigt, dass ein Konsens auch in den rechtlichen Grundfragen nur als Kompromiss vorstellbar ist. Können Sie skizzieren, wie ein solcher Kompromiss aussehen sollte, wenn wir das First Amendment nicht hinnehmen?

Nein. Der Sinn der Gespräche, die jetzt beginnen, besteht darin, dass man nicht mit dem Ergebnis in die Konferenzen hineingehen kann. Aber die Methode, die Sie beschreiben, ist völlig richtig. Wir haben unseren Standpunkt, die Amerikaner haben ihren Standpunkt, die Businesswelt hat ihren Standpunkt. Darüber muss jetzt geredet werden.

In der Diskussion haben Sie angekündigt, dass der Staat handeln wird, wenn es auf diesem Wege zu keinem Ergebnis kommt. Wie lange darf der Einigungsprozess denn dauern?

Zunächst ist es mir wichtig, herauszustreichen, dass auch die Industrie und die Provider erkennen müssen, dass die Freiheit des Internets auch bedeutet, dass man nicht jeden Auswuchs zulässt und nicht jede Vorurteilsnische vermarkten darf. Das kann nicht nur die Gesellschaft zerstören, es läuft auch der Freiheit im Internet zuwider. Diese Erkenntnis, die ja bei den Entscheidungsträgern durchaus vorhanden ist, sollte sich nicht nur herumsprechen, sondern muss zum Beispiel schon auf der Konferenz der Internetgesellschaft, die im Juli in Japan stattfindet, eine große Rolle spielen. Wir haben den Gesprächsreigen eröffnet. Ganz bewusst will ich keine weiteren Zeiträume nennen, weil ich auf Kooperation setze.

Was droht der Industrie, wenn dieser Prozess scheitert?

Ich bin nicht gern bereit, über das mögliche Scheitern eines Prozesses nachzudenken, der gerade beginnt. Das beeinträchtigt das Zustandekommen von guten Ergebnissen. Aber man muss natürlich sehen, dass die nationalen Gesetzgeber und Regierungen unter Druck stehen. Sie müssen handeln, und es ist auch ein Teil des Aufeinanderzugehens und der Kooperation, dass man realisiert, dass es so ist.

INTERVIEW: NIKLAUS HABLÜTZEL