Emotion und Intellekt

Das Jüdische Museum von Daniel Libeskind in Berlin ist schon vor der Eröffnung zum Publikumsmagneten geworden. 200.000 haben bisher das leere Haus besucht. Ein Ausstellungskonzept, das Widersprüchlichkeiten betont, nimmt langsam Konturen an

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Die Skepsis ist allgemein. Zu den Kommentaren, die Mitarbeiter des Jüdischen Museums bei den Führungen durch die ausdrucksstarke Architektur von Daniel Libeskind am häufigsten hören, zählen die Fragen: „Lassen Sie es leer?“ und „Werden Sie es je schaffen, in diesen Räumen Ausstellungen zu installieren?“ Das berichtet die erste Museumszeitung, mit der das Haus auf die Zielgerade einbiegt, im September 2001 zu eröffnen.

Die Architektur ist Glücksfall und Last zugleich für die Neukonzeption des Jüdischen Museums. So viel internationale Aufmerksamkeit wie mit diesem metallisch schimmernden Schnitt in den Stadtraum hatte das Berliner Stadtmuseum, zu dem das Jüdische Museum gehörte, noch mit keiner Ausstellung erreicht. Geplant als Erweiterungsbau des Berlin-Museums war die Hülle um die symbolischen Leerräume, die der Erfahrung der Vernichtung eine räumliche Form geben, das stärkste Argument für die Umwandlung des Jüdischen Museums in eine eigene Stiftung. Erst danach habe man anfangen können, an der Konzeption einer Dauerausstellung über 2.000 Jahre deutsch-jüdische Geschichte zu arbeiten, sagt W. Michael Blumenthal, 1997 zum Direktor berufen. Dem Publikum erscheint die ständige Verschiebung der Eröffnung absurd – für Historiker und Museumsgestalter aber bedeutet, in knapp drei Jahren nach einer anschaulichen Übersetzung für einen Prozess zu suchen, der über Jahrhunderte von der Verwischung der materiellen Spuren geprägt ist, Arbeit unter Hochdruck.

Jüdische Geschichte lässt sich nicht repräsentieren wie ein Schatzhaus gesammelter Kulturgüter. Um das nicht mehr Vorhandene der Vergangenheit zu thematisieren, nutzt das vor 10 Jahren gegründete Jüdische Museum in Wien verschiedene Wege: Im Raum über das „Jüdische Wien“ verweisen Hologramme, die sich dem Betrachter immer wieder entziehen, statt historischer Artefakte in die jüdisch-österreichische Geschichte. Metaphern für den Prozess des Ausgrabens von Erinnerungen hat die amerikanische Künstlerin Nancy Spero im Museum auf die Wand gestempelt mit Motiven von jüdischen Sportvereinen oder einer zerstörten Synagoge. Sie stehen wie farbige Splitter, denen der Kontext abhanden gekommen ist, einer Sammlung von Ritualobjekten aus der Judaica-Sammlung von Max Berger gegenüber, die nach dem jüdischen Festkalender geordnet sind. Zwischen den beiden Systemen von Fragment und Ordnung muss sich der Besucher, dem die soziale Verbindlichkeit der religiösen Kultur oft fremd geworden ist, nach seinen eigenen Motiven fragen.

Religionsgeschichtliche Aufklärung reicht in einem jüdischen Museum so wenig wie ein kunsthistorisches Gerüst aus. In Wien hat man deshalb ein Schaudepot angelegt, das in dicht bestückten Vitrinen vom Museum selbst als einem Ort der Sammlung von Strandgut erzählt: Was hier lagert, hat oft unter gewaltsamen Umständen seine ursprüngliche Funktion verloren.

In Berlin hat der Streit um die Selbstständigkeit des Jüdischen Museums ein Misstrauen hinterlassen. Man glaubt nicht an die Möglichkeit, in kurzer Zeit ein Sammlungs- und Ausstellungskonzept zu entwickeln, das der Größe des Hauses und der Komplexität des neu formulierten Anspruchs gerecht wird. Die Angst, dass die Ankündigungen des als diplomatisch geschickt gerühmten Direktors W. Michael Blumenthal nicht erfüllbar sind, ist groß. Dazu trägt dabei, dass man das jetzige Leitungsteam, zu dem zuletzt der Anthropologe Ken Gorbey vom neuseeländischen Nationalmuseum Te Papa als Projektdirektor dazukam, in Berlin nicht als Ausstellungsmacher kennt. Vorgestellt auf einer Pressekonferenz wurde nur der grobe Faden der Geschichte, der nicht erlaubte, den Umgang mit Material und Darstellungsformen schon zu beurteilen.

Allein dem neu berufenen wissenschaftlichen Beirat, dem unter anderem Fritz Stern, Reinhard Rürup, Saul Friedländer und Dan Diner angehören, sollte eine Projektskizze vorgelegt werden, die zwischen den theoretischen Zielen der Geschichtsvermittlung und der sinnlichen Umsetzung noch große Lücken aufweist. Sie wurde nun von der Welt ins Internet gestellt und für Ken Gorbeys vage Ideen einer theatralischen Verlebendigung historischer Szenen kritisiert.

Dabei zeigt sich der größte Teil der Skizze von einem naiven Nachspiel der Geschichte weit entfernt, sondern eher auf Zehenspitzen die Fallen stereotyper Wahrnehmung umgehend. Die Betonung liegt auf den Widersprüchen: Die Lebendigkeit des deutschen Judentums darzustellen, ohne die Illusion linearer Entfaltungsmöglichkeiten zu erzeugen, keine nachträgliche Sinnstiftung vorzunehmen und nicht die gesamte Geschichte der Juden in Deutschland zum Prolog des Genozid umzudeuten. So ist das Konzept mit korrekten Vorsätzen gepflastert: „Weder soll das Bild eines graduellen Fortschreitens (der Emanzipationsprozesse) auf dem Weg zur vollständigen staatsbürgerlichen Gleichstellung der deutschen Juden hergestellt werden noch der Eindruck eines im Kern bereits zu Beginn angelegten Scheiterns.“

Die erste Museumszeitung jedenfalls lässt auf Offenheit gegenüber dem Publikum und den aktuellen Debatten, die sich an der jüdischen Geschichte entzünden, hoffen. Da wird zum Beispiel über die Welle der kommerziellen Filme, die nach fast 60 Jahren den Holocaust in Bildern bearbeiten, nachgedacht. Denn dort werden die Geschichten konstruiert, mit denen junge Besucher ins Museum kommen werden. In einer Hinsicht entsprechen sich die Motive von Filmemachern und Besucher, die der Autor Rafael Seligmann so beschreibt: „Viele konzentrieren sich im Judentum nicht mehr auf die Religion, die Geschichte, die Kultur. Da sie darüber zu wenig wissen, konzentrieren sie sich auf die stärksten Emotionen – das war die Shoa.“ Über diesen Moment der Erschütterung hinauszukommen ist die eigentliche Herausforderung der Museumsmannschaft.

In den Achtzigerjahren erforschte Hermann Simon, heute Direktor der Stiftung „Neue Synagoge Berlin –- Centrum Judaicum“, die Geschichte eines fast spurlos verschwundenen Museums, das die Jüdische Gemeinde 1933 in der Oranienburger Straße eröffnet hatte. Die dritte Auflage seines Buches über die „Geschichte einer zerstörten Kulturstätte“ stellte er jetzt im Jüdischen Museum vor und betonte mit dieser Geste, dass beide Institutionen nicht konkurrieren sondern kooperieren wollen.

Heute halten wir uns für schlau und meinen, Geschichte aus ihrer Kenntnis heraus beurteilen zu können. Die Frage „Wie konnte man nur 1933, sechs Tage vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, ein Jüdisches Museum eröffnen?“ fällt allzu leicht. Gegen diesen Vorwurf der Naivität erzählt Hermann Simon die Geschichte. Ausstellungen von den Malern Max Liebermann, Lesser Ury und Ludwig Meidner gehörten zum Programm. Doch die Ausgrenzung der Juden aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens zwang dem Museum sehr bald eine Auseinandersetzung mit der jüdischen Identität auf. Ausstellungen über „Unsere Ahnen“, über berühmte Staatsmänner der Sepharden und Gelehrte des aschkenasischen Judentums versuchten zur Stärkung des Selbstgefühls und zum Stolz auf die Vergangenheit beitragen. Man suchte nach Vorbildern für Überlebenswillen und Widerstandsgeist. Zudem sah das Museum bald eine Mission darin, die Kultgeräte zwangsweise aufgelöster Gemeinden und emigrierter Familien zu bewahren.

Die Museumsmacher damals kamen kaum dazu, den Anteil der jüdischen Kultur an der Moderne in der Metropole Berlin hervorzuheben. Das blieb einer Ausstellung des Jewish Museum in New York in diesem Jahr vorbehalten, die in Kooperation mit dem Jüdischen Museum Berlin einen Streifzug durch Film, Theater, Architektur, Kunsthandel und bildende Kunst unternahm. Es war merkwürdig, diesem Abschnitt der Berliner Geschichte, der fast alles enthielt, worauf sich der Stolz der Metropole in den Zwanzigern begründete, in New York wieder zu begegnen.