Mit Wonne in die Tonne

Auch Kritiker geben zu: So schlecht ist das Duale System nicht. Im internationalen Vergleich ist die deutsche Verpackungsverordnung sogar vorbildlich

von ANNETTE JENSEN

Mit der Zeit werden manche bescheiden. „Was Besseres als das DSD lässt sich heute nicht durchsetzen“, konstatiert Günter Dehoust vom Ökoinstitut. Zehn Jahre Existenz feiert das Duale System in den nächsten Tagen. Jahrelang hatten Umweltschützer die Grüne-Punkt-Gesellschaft nicht nur hart kritisiert, weil in den Slums von Jakarta und auf wilden Kippen im Ausland grün bepunkteter Müll auftauchte. Das System sei auch nicht geeignet, Müll zu vermeiden, lautete der Vorwurf. Noch Mitte der 90er-Jahre legte das Ökoinstitut deshalb einen Vorschlag vor: Ein gut ausgebautes Mehrwegsystem sollte parallel zum Einzelhandel aufgebaut werden und so den Müll tatsächlich reduzieren.

Heute weist Dehoust beim Thema DSD als Erstes daraufhin, dass in Deutschland die Verpackungsmüllmenge seit Einführung des Systems in manchen Bereichen sogar leicht gesunken sei, während sie im DSD-freien Holland deutlich gestiegen ist. Im Ausland wird die Sammel- und Sortierwut der Deutschen deswegen zutiefst bewundert: Die dem Dualen System zugrunde liegende Verpackungsverordnung sei „revolutionär“, heißt es im Jahresbericht des Worldwatch Institutes von 1999.

Über das DSD hinaus sei die gesellschaftliche „Gemütslage“ aber gegenwärtig nicht ökologisch orientiert, bedauert Dehoust, der sich mittlerweile eher in der Position sieht, das DSD zu verteidigen. Denn das System ist zur Zeit Angriffen von entgegengesetzter Seite ausgesetzt: Die Landesregierungen von Rheinland-Pfalz und Hessen drängen darauf, die aufwendige Müllsammelei zu vereinfachen. Vor allem kleine Verpackungen sollen lieber gleich in den Ofen. Unerklärtes Ziel dabei ist es, die unwirtschaftlichen Müllverbrennungsanlagen besser auszulasten.

Dehoust hält dagegen: „Mit moderner Technik lässt sich künftig so gut wie alles sinnvoll aufbereiten.“ Die Möglichkeiten einer derartigen Optimierung des DSD wird zur Zeit von zwei renommierten Instituten untersucht, deren Ergebnisse in den nächsten Wochen vorliegen. Auf der Expo läuft eine hochmoderne Sortieranlage. „Sollten die neuen Technologien tatsächlich die Versprechen halten – sortenreineres Sortieren, auch von Kleinteilen –, bleibt immer noch die Frage, ob es für das Material danach einen Markt gibt“, warnt allerdings Susanne Hempen, Abfallexpertin beim Naturschutzbund (Nabu) vor zu viel Optimismus. Was nicht zu Parkbänken oder Ähnlichem verarbeitet werden kann, landet heute ganz legal in der Verbrennung: Bis zur Hälfte der Plastikabfälle dürfen nach der Novelle von 1998 „energetisch verwertet“ werden. Die übliche Praxis, grün bepunkteten Müll in Bergwerken zu versenken und das als „Verwertung“ zu deklarieren, wurde dagegen vor kurzem gerichtlich verboten.

77,7 Kilo Verpackungsabfälle hat der Durchschnittsbundesbürger 1999 in die Sammelcontainer geschmissen. Insgesamt 5.553.532 Tonnen verwertete das DSD nach eigenen Angaben – und erreichte damit locker die geforderten Quoten. Bei Papier und Kunststoffen meldete das DSD sogar mehr als 100 Prozent: Die Verbraucher liefern auch Material ohne Grünen Punkt ab.

Das war nicht immer so. Besonders bei Aluminium schaffte es das DSD zeitweise nicht, die vorgeschriebenen Mengen nachzuweisen. Dennoch verzichteten die zuständigen Landesminister stets darauf, dem Handel die Freistellung von der Rücknahmepflicht ihres Mülls zu entziehen. Eine Alternative aufzubauen erschien ihnen weniger Erfolg versprechend, als das DSD nach und nach zu verbessern.

Allerdings gibt es auch immer mehr Lizenznehmer: Vor kurzem verkündete die Grüne-Punkt-Gesellschaft, sie habe im vergangenen Jahr 2000 neue Lizenznehmer gewonnen, die ab sofort den Grünen Punkt auf ihre Produkte aufdrucken. Der Zuwachs ist vermutlich ebenfalls eine Reaktion auf die neue Gesetzeslage, die noch unter der alten Bundesregierung auf Druck des DSD zustande gekommen war. Immer wieder hatte sich die Gesellschaft über „Trittbrettfahrer“ beschwert, die keine Gebühren zahlten, deren Müll aber dennoch in den gelben Säcken landete.

Durch die Novelle drohen nun all denjenigen Ordnungsgelder, die über den Verbleib und die Verwertung ihrer Verpackungen keine Auskunft geben können. Bis zu diesem Mai galt noch eine Schonfrist; jetzt müssen die so genannten „Selbstentsorger“ mit Überprüfungen rechnen. Viele haben sich deshalb notgedrungen dem DSD angeschlossen. Agnes Bünemann vom Cyclos-Institut, das auf Kosten des DSD den Verbleib des Verpackungsmülls kontrolliert, geht allerdings davon aus, dass es viele Grüne-Punkt-Verweigerer lieber auf ein Ordnungsgeld ankommen lassen werden, als die Lizenzgebühren zu zahlen.

Doch auch Konkurrenten versuchen inzwischen, sich auf dem Markt für Verpackungsaufbereitung zu etablieren. Die Vereinigung für Wertstoffrecycling (Vfw) in Köln hofft bei ihrem Kampf gegen das DSD auf Unterstützung vom Bundeskartellamt. Die zentrale Frage dabei ist: Darf das DSD überhaupt Geld verlangen für jeden Grünen Punkt auf einer Verpackung oder nur für die tatsächliche Entsorgungsleistung? Weil niemand bereit sei, zuerst für den Grünen Punkt zu zahlen und später noch einmal für einen anderen Müllaufbereiter, klagt die Vereinigung für Wertstoffrecycling das DSD als „legalisiertes Zwangskartell“ an.

Während auf der Ebene des DSD um Punkte und Kartelle gestritten wird, bleiben Umweltschützer durchaus noch bei dem Anspruch, dass Müll vermieden werden sollte. „Aber dafür muss das Gesetz geändert werden, nicht das Ausführungsorgan, das DSD. Das Entsorgungssystem ist immer nur so gut wie das Gesetz“, erklärt Hempen die scheinbare Ruhe bei der grundsätzlichen Diskussion um den Müll.