Verflucht auf der Kornstraße

■ Sie werde ihre Arbeit verlieren, krank werden, sterben, will eine Frau in der Hand einer Anderen gelesen haben / Gestern wurde der Fall vor Gericht verhandelt.

„Wir als gestandene Mannsbilder“, sagt der Polizist, „wir haben das gar nicht verstehen können.“ Dass Eine voller Angst ist. So sehr, dass sie sofort zur Bank geht und 8.000 Mark denen geben will, die ihr Minuten zuvor erklärt haben, sie sei verflucht. Verflucht. So geschehen im vergangenen April. Gestern saß auf der Zeugenbank im Amtsgericht die vermeintlich Verfluchte, auf der Anklagebank die Frau, die den Fluch erkannt haben will. Und versprochen haben soll, ihn zu lösen – gegen Geld. „Nur rein interessehalber“, fragt der Richter, „hat sich der Fluch irgendwie verwirklicht?“ Nein, sagt die Zeugin, „meine Arbeit habe ich noch und gesund bin ich auch noch.“ „Na, Gottseidank“, findet der Richter.

Passiert war alles an einer Ampel auf der Kornstraße. Eine „Frau im langen Rock“ sei auf sie zugekommen, erzählt die Zeugin, habe gesagt: „Ich sehe, du bist ein guter Mensch“. Sie bietet an, der 53-Jährigen aus der Hand zu lesen. „Sie sieht, dass ich verflucht bin, ich würde meine Arbeit verlieren.“ Krank werden, sterben.

Dann ist auf der Kornstraße noch eine jüngere Frau, die Tochter der Angeklagten, die sagt, sofort bezahlen, sofort zur Bank, ehe die zumacht, sonst wirke der Fluch. „Ich hatte Geld angespart, weil ich renovieren wollte. Ich hab' 8.000 Mark geholt. Aber als ich ihr das Geld geben wollte, hat sie mich angeschrien und gesagt, 10.000 Mark. Du gehst wieder rein und holst die 10.000 Mark.“ Die Zeugin dreht tatsächlich um, die Scheine noch in der Hand. „Und da bin ich wohl wach geworden.“ In der Bank lässt sie die Polizei holen. Die Beamten vom Revier Kattenturm sind verwundert, „wie eingeschüchtert und völlig mit den Nerven runter“ das Opfer ist. „Das erlebt man sonst nur bei Kapitalverbrechen, wo Leib und Leben in Gefahr sind“, vergleicht der Polizist vor Gericht.

„Leider bin ich so naiv“, sagt die Zeugin. Ihre Mutter habe von Flüchen berichtet, sie selbst lasse sich ab und an die Karten legen. „Ich hab' einfach Angst gehabt.“ Sie erzählt von ihrem Leben. Erwähnt Scheidung, den behinderten Sohn, das zurückgekaufte Reihenhäuschen. „Ich kämpfe seit Jahren dafür, dass ich zur Ruhe komme“, sagt sie leise. „Wenn ich meine Arbeit verliere, hätte ich zum zweiten Mal alles verloren.“

Die Versionen der Angeklagten und ihrer Tochter klingen indes ganz anders. Man sei an der Ampel ins Gespräch gekommen, habe der Zeugin von der Familie in Bosnien erzählt, die Zeugin habe Geld geben wollen und sei mit den beiden Frauen zur Bank gefahren. Sagt die Angeklagte. Nach einem Job habe man gefragt, sagt die Tochter. Auf einmal war dann die Polizei da.

„Sie wären gut beraten, das hier zuzugeben“, erklärt der Richter der Angeklagten, findet Widersprüche in den Versionen, will noch wissen, wie das ist mit der seit zehn Jahren in Deutschland lebenden Roma. Die hatte von der Dolmetscherin erklären lassen, rund 30 Jahre lang sei sie umhergezogen. „Mit Pferd und Wagen, wie man sich das vorstellt“, fragt der Vorsitzende. Auch, lässt die Frau übersetzen. Sie wird verurteilt: zu acht Monaten Gefängnis auf Bewährung plus 1.200 Mark Geldstrafe. sgi