Groß in Berlin im Juli

Leise klirren die Kronleuchter: Das erste „Blue Nites“-Festival im Tränenpalast

Die Kronleuchter klirren leise. Ein kaum merklicher Luftzug kommt durch die zum Biergarten hin geöffnete Tür. Hier draußen rankt sich Blattwerk um den Drahtzaun zur Straße. Der Fluss glitzert, kleine weiße Wölkchen tummeln sich am Berliner Himmel. Ein friedliches Bild in Mitte.

Der Tränenpalast liegt direkt am Bahnhof Friedrichstraße. Das ehemalige Grenzgebäude verfiel nach der Wende zu einer kranken Ruine. Dunkle, stinkende Gänge, Einsturzgefahr. Um aufwendige Sicherungskosten zu vermeiden, schrieb die Reichsbahn – heute die Bahn AG – den Kachelbau zur Fremdnutzung aus.

Beworben hat sich damals auch der gelernte Fotograf Markus Herold, der gerade eine kleine Produktionsfirma gegründet hatte, die Musikvideos und Dokumentationen produzierte. Darunter „Da Da Da“ von Trio und „Big In Japan“ von Alphaville. Schließlich erhielt sein gelungenes Sanierungskonzept den Zuschlag. Mit dem Wegfall des Quartier Latin wurde der Tränenpalast zunehmend als Veranstaltungsort für Agenturen interessant, und so rutschte Herold langsam in die Rolle des Clubbetreibers hinein, als der er sich mittlerweile begreift. Es ist durchaus kein Scherz, wenn er sich selbst auf den Plakaten des ersten „Blue Nites Festivals“ in großen Lettern als „künstlerischer Leiter“ bezeichnet. Er gibt zwar zu, mit den Inhalten nicht sonderlich vertraut zu sein. Aber ein Festival braucht einen künstlerischen Leiter, woher auch immer. Nur dann gilt es als seriös.

So wie das seit über 30 Jahren im November stattfindende JazzFest, das Markus Herold mit seinen „Blue Nites“ formal kopiert und konzeptionell erweitert. Neben Jazz gibt es nämlich auch Latin und Flamenco. Und was das JazzFest nie geschafft hat, probiert Herold mit einer Senatsunterstützung von 12.000 DM aus: Berliner Bands bekommen die Gelegenheit, sich als Vorgruppen einem größeren Publikum vorzustellen.

Herold sieht sein Clubfestival in Konkurrenz zum etablierten JazzFest. Diesem wirft er vor, mit seiner muffigen Atmosphäre junge Leute zu verschrecken. Zumal Berlin doch gerade im Sommer eine Bühne für die in den kommenden Wochen durch Europa tourenden amerikanischen Jazzstars braucht! Bisher war dafür allein das kleine Quasimodo zuständig. Jazz Across The Border, Hofkonzerte und Heimatklänge unterstützen da mit ihren Festivals eher neue, noch unbekannte Namen. Auch Naumanns Hauptstadtkulturfonds zeigt sich schwerfällig. Bisher haben die Bewilligungsfristen mit allen bürokratischen Formalitäten über ein Jahr Vorlauf. Für Clubs mit spontaner Programmgestaltung ist es also unmöglich, an Gelder des Hauptstadtkulturfonds heranzukommen.

Die Aneinanderreihung von Konzerten mit Festivalüberbau war dann auch nur möglich, weil die Musiker zwischen ihren Festivalgigs für deutlich weniger Geld spielen – ein Grund dafür, dass in den vergangenen Jahren Giorgio Carioti im Quasimodo seinen „Jazz in July“ stattfinden lassen konnte. Dementsprechend sauer ist Carioti auf Herold, der diese Idee seiner Meinung nach einfach geklaut hat.

Doch dieser sieht das ganz gelassen. Er hätte dem Quasimodo eine Zusammenarbeit vorgeschlagen, und dass es in diesem Jahr kein „Jazz in July“ gebe, würde den Tränenpalast nicht unbedingt zum Weinen bringen. Auch plant der frisch gebackene Festivalmacher in größeren Dimensionen. Während in den Tränenpalast dreimal so viele Leute wie ins Quasimodo passen, wird im angrenzenden Biergarten zusätzlich eine Großbildleinwand installiert. Seine Zukunft sieht Herold in der Realisierung eines Open-Air-Festivals. Warum nicht auf dem Gendarmenmarkt? Unter Einbeziehung von Clubs, Galerien und Kinos mit durchgehenden Shuttlebussen?

Doch Herolds Visionen entfachen Cariotis Wut. Der spricht von „Krieg“ und hat im Gegenzug ebenfalls große Namen für seine Bühne engagiert. Die Kronleuchter klirren leise. Das eingangs erwähnte friedliche Bild trügt. Doch ein wenig frischer Wind tut der träge gewordenen Berliner Jazzveranstalterszene in jedem Fall gut. Und der Stadt sowieso. MAXI SICKERT

Vom 1. 7. bis 23. 7. im Tränenpalast, Reichstagufer 17, Mitte,