Ach, Belgien! Ach, Vorurteile!

Wie aus einem an Wink Lag leidenden Frittenmeister und Skandalbelgier plötzlich ein scharfsichtiger Slowake wird

BRÜSSEL taz ■ Was hatte dieser blonde Mann da unten vor der Haupttribüne falsch abseits gewedelt. Beziehungsweise das Wedeln unterlassen. Anders als bei den meisten Kollegen, die unter dem Einfluss des weltweit grassierenden Wink Lag in der Linienrichterei viel zu oft winken, blieb seine Fahne dauernd falsch unten. Mehrfach, so schien es, dauerhaft, grundsätzlich. Auch beim 1:1 der Franzosen: Abseits von Vorbereiter Anelka! Skandal!

Weiß dieser blonde Mann da unten überhaupt, dass Abseitswacht zu seinen Aufgaben gehört? Wer ist das überhaupt? Aha, Roland Vannylen. Belgier! Typisch, sich wichtig tun durch Nichtstun, diese angewandte belgische Lebensart, sich planlos durchs Leben wurschteln: Et hätt noch immer goed/bien jejange. Umgehend war spielbegleitendes Belgierbashing angesagt. Was lässt die Uefa auch einen Mann aus Europas wildem Westen ran, dem Dutrouxdioxinchaosskandalland.

Und dann Minute 113. Des Assistenten schüchternes, verspätetes Fahneheben, als der Schiedsrichter längst auf Eckball entschieden hatte: Hallo, ich könnte was sagen, sagt die bange Geste. Beratung, Entscheidung, Tumulte, Elfmeter, Zidane, Golden Goal. Frankreich im Finale, die Portugiesen außer sich vor Empörung. Und der Assistent lässt sich, augenscheinlich erschrocken über sein plötzliches Leben im Mittelpunkt des Geschehens, personengeschützt in die Kabine führen. Die Szene wirkt wie das Abführen eines Schulbuben, den man beim Kirschenklauen erwischt hat.

Dieser Skandalbelgier! Frittenmeister! Im Presseraum erklärt ein Uefa-Offizieller, dass es sich beim Haupttribünen-Assistenten um den Slowaken Igor Sramka handelt. Ach!? So!? Bitte? Zeitlupenstudium 1: Abel Xaviers Hand war am Ball; die Entscheidung zu rechtfertigen. Zeitlupenstudium 2: Es war kein Abseits von Anelka. Ach, Belgien. Ach, Vorurteile. MÜLL