Selektion im Paradies

Killervirus – Wer darf in den Menschenpark? Jan Jochymski inszenierte Kai Hensels „Party mit totem Neger“ am Dresdener TIF, dessen Themenreise durch die sieben Todsünden beim Hass angelangt ist

von KATHARINA HOLLER

Kurz vor der Sommerpause hat sich das TIF, die Laborbühne des Dresdener Staatsschauspiels, auf ihrer thematischen Reise durch die „sieben Todsünden“ zum Hass vorgearbeitet. Letzterer entlädt sich derzeit medienwirksam zwischen Meißen, Dessau und Dortmund in ungebremster Form gegen Schwarze, Polizisten und Lehrer. Der Hamburger Autor Kai Hensel, der bisher vor allem für Film und Fernsehen gearbeitet hat und mit „Kismet“ für den Bundesdrehbuchpreis nominiert wurde, hat Anfang dieses Jahres zum Thema Gewalt ein Theaterstück geschrieben. „Party mit totem Neger“ ist von frappierender Offenheit und umschifft alle Political-Correctness-Fallen, die bislang einen offenen Blick auf die gesellschaftliche Wirklichkeit in Deutschland vernebeln. In einwöchigen Crashproben gelang es nun Jan Jochymski, von Theater Heute zu einem der besten Nachwuchsregisseure gekürt, mit Übersicht und jeder Menge psychologischem Feingefühl eine intelligente Bestandsaufnahme zum Thema Hass, die durch ihre Unbestechlichkeit überzeugt.

Bei Stückbeginn ist die Party bereits vorbei. Im Hausflur liegt ein toter Schwarzer, während sich auf der Spielwiese in Svens (Ralph Martin) Zimmer seine zugekiffte Freundin Suzann (Gabriele Völsch) und sein Freund aus Kindertagen, Daniel (Axel Strothmann), fläzen, dazu auf dem Boden jede Menge Koks und zertretene Peanuts. Alle fanden die Party zu Svens Dreißigstem öde, und um wenigstens noch irgendeinen Output zu kriegen, wollen sie jetzt vögeln. Sven will Daniel, Daniel will Suzi, und Suzi ist zu bekifft, um sich zu entscheiden. Ein klassischer Dreieckskonflikt, eigentlich kein Problem heutzutage, aber was ist mit dem toten Neger und den Bullen im Hausflur? Und woher kommt das schlechte Gewissen? Nach einer korrekten Dosis Alk in Svens blauplüschiger Mehrzweckabsteige (Bühne und Kostüme Janna Skroblin), haben alle ihren Negerhass offenbart – und einer von ihnen war’s.

Hensels Text packt das Problem bei eben jener Crux, die in Medien und Diskussionsforen nur zu gern unterschlagen wird. Nicht ideologisch fehlgeleitete, sozial unterdrückte Randgruppenplattköpfe sind die Täter, sondern ganz normale Typen, denen die Wohlstandsgesellschaft jede Menge „Durchsicht“ bescherte. Mit Sprüchen wie „Alles rast auf den Abgrund zu“, „In Burundi sterben die wie die Fliegen“ oder „Glaubst du, so’n Neger hätte ein Problem damit, dich zu killen?“ wird der langsam verblutende Fakt im Hausflur heruntergespielt. Sven entdeckt Blut an Danis Hose, worauf Suzi sinniert: „Würde ich mit einem Mörder vögeln? Logisch. Bringt guten Sex.“ Jochymskis Arbeit mit den Schauspielern ist deshalb so überzeugend, weil es ihm gelingt, das Wechselbad aus Anklage, Verdrängung und rhetorisch geschulter, zynischer Ausrede – „Bei sechs Milliarden Menschen muss man selektieren“ – vollkommen authentisch wirken zu lassen. Das Ergebnis provoziert, weil die Kontrolliertheit, mit der etwa Axel Strothmann seinen Daniel ausstattet, das Gewaltproblem vom Kopf auf die Füße stellt. Während Talkrunden schon lange wissen, dass das Wohlstandsboot voll ist und ohnehin nur ein Fünftel der Gesellschaft am Konsumrausch teilnehmen kann, bleibt dem Staat anscheinend nur hilfloses Zuschauen beim gewalttätigen Druckausgleich. Die Wahrheit ist, dass eine ganze Generation gelernt hat, auf dem Weg zur privaten Glückseligkeit fast jedes Mittel einzusetzen, ob Ellenbogen, Pistole, Abtreibungsspritze oder Kampfhund, ist dabei egal. Da helfen auch keine Regeln für den Menschenpark, da knallt’s. Die Dresdener Inszenierung liefert keine Lösungen, aber sie liefert eine intelligente, ungeschönte Stellungnahme zum Thema Hass, deren Leistung darin besteht, sich stellvertretend für alle Angstschweiger in jene Nesseln zu setzen, die einen ernstzunehmenden Diskurs in Deutschland verhindern.