groß in hongkong
: Shoppen und Faken

Armani für alle

„Gestresst?“, fragt ein großformatiges Plakat, ein anderes „Einen schlechten Tag gehabt?“. Und ein drittes bohrt ganz indiskret nach: „Verlassen worden?“ Unter allen dreien prangt in dicken Lettern die Empfehlung: „Shop!“ Das ist nur halb ironisch gemeint, denn diese Plakate hängen in Singapur. Hier ist Einkaufen Therapie, Volkssport, fast schon Bürgerpflicht. Die ganze Orchard Road, Singapurs Antwort auf die Champs-Élysées, wirkt dieser Abende nach Arbeitsschluss wie ein Meer von weiß-orangen Tüten. Es sind die Schlussverkaufs-Farben des chinesischen Kaufhauses Tang, das mit seinem pagodenförmigen Eingang der Bezeichnung Konsumtempel alle Ehren macht.

Als Massenereignis stellt der große „Singapur Sale“ das zeitgleich stattfindende Arts Festival, mit dem sich die Stadt auch als Kulturmetropole beweisen will, weit in den Schatten. Singapur steht eben in erster Linie im Ruf eines Einkaufsparadieses. Was Kaufkraft und Kaufwut angeht, lassen sich Singapurs Bewohner in ganz Südostasien nur noch von ihren Konkurrenten in Hongkong übertreffen. Deren Obsession mit Mode und Konsum hat der Hongkonger Literaturwissenschaftler Ackbar Abbas auf die sarkastische Formel gebracht: „Wenn man schon nicht seine politische Führung wählen kann, so bleibt einem wenigstens die Wahl seines eigenen Kleidungsstils.“ Darin hat man es auf der Insel allerdings zur wahren Meisterschaft gebracht: Während Singapurs Urbaniten sich eher konventionell kleiden und es häufig bei Surf-T-Shirt oder Polohemd bewenden lassen, zeigt man in Hongkong Stilbewusstsein bis ins Detail, trägt die schicksten Designerbrillen und die modernsten Mobiltelefone der Welt spazieren.

Das Leben ist eine Shopping-Mall für die aufstrebenden Mittelschichten Südostasiens, deren Konsumverhalten weitestgehend westlichen Mustern folgt – und das im doppelten Sinne, denn wer sich noch nicht die begehrten Markenartikel leisten kann, der nimmt eben solange mit Nachahmungen vorlieb. Egal ob Gucci, Prada oder Cartier: Dank hervorragender Produktpiraten gibt es schließlich fast alles in doppelter Ausfertigung, und oft fällt es schwer, Original und Fälschung auseinander zu halten. Als besonders raffiniert gelten dabei die Imitate aus Shenzen, Chi-nas kapitalistischer Sonderwirtschaftszone an der Grenze zu Hongkong, einer aus dem Boden gestampften Retortenstadt, die selbst schon so etwas wie eine in rauen Beton gegossene Kopie ihrer glamourösen Nachbarmetropole ist.

Jedes Wochenende fahren Hongkongs Shoppingsüchtige mit der U-Bahn zur Grenze, um sich auf der anderen Seite mit Markenwaren einzudecken, die es dort schon am Bahnhof gleich in mehreren Preis- und Qualitätsstufen gibt. Viele Billigkopien bieten wenig mehr als den schalen Abglanz der Aura einer Marke, aber Prada-Duplikate der Kategorie A sind schon so gut, dass es zumindest einem Käufer bereits gelungen sein soll, seine falsche Tasche in der Londoner Filiale gegen eine echte umzutauschen. Jedenfalls empörte sich die Firma kürzlich in der South China Morning Post darüber, das sich Kunden aus Hongkong in Mailand verdächtig oft nach den neuesten Kollektionen erkundigen – vermutlich, so die Annahme, um sie als Mittelsmänner für Fälscherwerkstätten auf dem Festland zu erstehen. Dass die Kopien den Originalen nicht nur gleichwertig sind, sondern sie gelegentlich sogar zu übertreffen drohen, mag wie ein Gleichnis auf den wirtschaftlichen Wettbewerb mit Asien scheinen.

Zumindest aber ist der Markenpiraterie ein sehr demokratisches Moment eigen, ermöglicht sie doch, zumindest im Prinzip, jedem die sofortige Teilhabe zum erschwinglichen Preis. So nähert man sich gerade in Hongkong, das der Ökonom Milton Friedman einmal als Modellfall eines kapitalistischen Utopia pries, der zeitgemäßen Erfüllung eines eher sozialistischen Ideals: Luxusgüter für alle. Und darin sehen nicht wenige in der Region eine attraktive Blaupause für die eigene Zukunft. Denn wenn es tatsächlich so etwas wie gemeinsame asiatische Werte gibt, auf die man sich einigen kann, wie Politiker in Singapur und Malaysia gerne behaupten, dann sind das ganz sicher materielle.

DANIEL BAX