Carinis Es

Das Grauen kam aus dem Kühlschrank. Knapp konnte sich die taz-Belegschaft retten – bis auf einen: Die letzte Reportage  ■ Von Eberhard Spohd

Hätten wir nur damals diesen Kühlschrank nicht geöffnet. Dann säße ich nicht hier, um meine letzte Reportage zu schreiben und darauf zu warten, dass dieses amorphe, in allen Regenbogenfarben schillernde Geschöpf mich assimilliert. Dann würde ich mit den Kollegen jetzt auf unser neues taz-Domizil in der Harkortstraße anstoßen. Aber Christian Buß wollte es ja unbedingt wissen.

Er war damals, vor zwei Jahren, in das Büro eingezogen, das neben meinem lag und wunderte sich – wie alle – was sich wohl in diesem eingestaubten Kühlschrank befinde. Vollblutjournalist, der er ist, brachte er in Erfahrung, dass sich das Möbel lange Zeit in Besitz des ehemaligen Ökoredakteurs Marco Carini befunden habe. „Der war mir nie ganz koscher“, erinnerte sich Heike Haarhoff, die lange mit ihm das Zimmer teilte, „was der da drin aufbewahrte, wollte ich nie wissen.“ Christian schon. „Komm, wir machen ihn mal auf“, spornte er mich an – zur töd-lichsten Dummheit meines Lebens.

Den Geruch werde ich nie vergessen. Eine grünliche Schwade durchzog den Flur, blieb zwei Stunden hängen und legte sich dann schmierig über die Regale. Obwohl die Tür nur etwa zwei Zehntelsekunden geöffnet blieb, konnten wir erkennen: Der Kühlschrank war voll. Wann hatte Marco uns verlassen? Vier Jahre zuvor. Christian und ich spülten den widerlichen Geschmack mit einem starken Kaffee von der Zunge und ließen die Sache auf sich beruhen . Das hätten wir nicht tun sollen. Ich meine, den ehemaligen Kulturredakteur betrifft es nicht mehr, und meine anderen Kollegen kommen wohl auch glimpflich davon. Ich nicht.

Was Marco, der heutige Sprecher des Regenbogens, in diesem Kühlschrank tatsächlich lagerte, weiß ich nicht. Ich weiß nur: Es lebt. Wieder. Denn durch das Öffnen der Tür wurde Sauerstoff zugeführt. Die anaeroben Zerfallsprozesse wurden unterbrochen. Und durch die Erschütterungen, die während der Umzugsvorbereitungen am Kühlschrank wirkten, muss dieses – Ding – erwacht sein. Kai von Appen, Peter Ahrens und Gernot Knödler konnten sich noch über die Brücke retten, die unseren Flügel vom Haupttrakt des Redakti-onsgebäudes trennt. Dann stürzte sie unter den Schlägen von Appens Betriebsratshammer ein.

Vielleicht hätte ich nicht den Helden spielen sollen. „Lauft weg“, rief ich, „ich halte es auf.“ Bevor Es mich aufhielt. Jetzt sitze ich in der Scheiße. Zum Glück funktioniert das Telefon noch, die letzte Verbindung zur Welt. „Schreib alles auf“, forderte mich Redaktionsleiter Sven Veit auf, als ich ihn anrief, „ich weiß, es ist hart. Aber wer sollte es schaffen, wenn nicht du? Das bringen wir morgen ganz groß. Ich versuche, noch einen Fotografen zu dir rüber zu schicken.“ Ich kenne Markus und Henning Scholz. Sie schaffen es.

Nun habe ich mich in meinem Büro verbarrikadiert und kann durch ein kleines Fenster zum Gang den amorphen Schatten sehen. Irgendwie erinnert er mich an Marco Carini. Führte der unbescholtene Redakteur hier Genversuche durch? Unwahrscheinlich. Ich nehme an, es war ein biologischer Unfall, der zwei Erbinformationen vereinigte. Aber ich werde beobachten und beschreiben bis zuletzt. Lange dauert es nicht mehr, bis Es meine Wand durchbricht. Es war kein schlechtes Leben. Ich höre das Wummern von Metall. Es macht mir Angst, aber