„Es herrscht eine unglaubliche Doppelmoral“

■ Die Politik will das Staatsorchester abschaffen. Das befürchten jedenfalls die beiden Orchestersprecher

Auf einer verhalten euphorischen Pressekonferenz wurden das neue, hoch ambitionierte Programm des Philharmonischen Staatsorchesters und der Philharmonischen Kammerkonzerte präsentiert: „Wir sind endlich“, so die Pressesprecherin Edda Bosse, „mit Kultursenator Bernt Schulte in einer guten Phase. Er hat eingesehen, dass die Zerstörungsaktionen gegen das Orchester nicht mehr weitergehen können.“ Und wenn aus dem Kulturetat das Geld für die seit langem unbesetzten Stellen im Orchester nicht da ist, dann sei, so habe Schulte betont, eben auch der Senat insgesamt gefragt. Bis dahin allerdings liegen alle Pläne, die über 2002 hinausgehen, auf Eis. Auch von 300 neuen Abonnenten konnte Bosse berichten. Für die Mitglieder des Philharmonischen Staatsorchesters hingegen ist die politische Situation trotz Senatorenworte und ZuschauerInenzuspruch schlimmer denn je. Wir sprachen mit den Orchestervorstand Florian Baumann und dem Vertreter des Personalrates Thomas Zscherpe.

taz: Im September 1997 gab es einen Senatsbeschluss, dass die Umwandlung des Staatsorchesters in die privatrechtliche Form der GmbH bis März 1998 erfolgen sollte. Sie, Herr Baumann, hatten damals gesagt, das sei ein Freibrief für's Abschieben. Sie sehen das heute nicht mehr so, sondern haben andere Probleme. Was hat sich verändert?

Florian Baumann: Wir haben überhaupt kein Vertrauen mehr in die Politik. Wir haben keine Angst vor der GmbH, wir haben Angst vor den Leuten, die uns das aufdrücken wollen.

Thomas Zscherpe: Ich möchte das mal in ein Bild kleiden: Wir kommen uns inzwischen vor wie in einem Roman von Kafka. Wir laufen durch einen ewig langen Flur. Rechts und links sind verschlossene Türen. Wir müssen da hinein zu irgendjemand – aber wir wissen weder wann, wo, wie und zu wem.

Die Hinhaltetaktiken des Senats und die Ereignisse der letzten Jahre und insbesondere der letzten Monate lassen doch wirklich fragen: Soll die Politik nicht lieber zugeben, dass sie das rechtlich verankerte Ziel, ein Orchester auf A-Niveau in Bremen zu unterhalten, nicht mehr will?

Zscherpe: Nein, sie wollen uns nicht abschaffen. Sie haben nur überhaupt keine Ahnung, sie wissen einfach nicht, was wir leisten.

Baumann: Es gibt eben keine inhaltliche Diskussion. Die vorherrschende Meinung ist: Es lohnt sich nicht, das Orchester ist schlecht. Aber wenn bei uns Vorstellungen schlecht waren, dann liegt es eben auch daran, dass wir gezwungen sind, mit Aushilfsmusikern zu arbeiten, die gelegentlich den Part vom Blatt spielen müssen. Außerdem wird ständig abfällig geäußert, wir seien ein Beamtenorchester. Wir sind zwar öffentlicher Dienst, aber in erster Linie Musiker. Bezeichnend ist ja, wie Rolf Sauerbier von Kraft Foods sein überragendes Sponsoring für die Kammerphilharmonie begründet: Er setze auf Globalisierung, nicht auf Provinzialisierung.

Warum werden Sie eigentlich nicht radikaler? Streik zum Beispiel ...

Zscherpe: Das würde sich gegen unser Publikum richten. Wir hatten mal die Idee, in der Bürgerschaft eine so lange fürchterliche Dissonanz zu spielen, bis sich unsere Situation ändert.

Baumann: Wir stellen ja dauernd Öffentlichkeit her, vor zwei Jahren haben wir 1.500 Unterschriften gesammelt.

Wie stehen Sie zur Philharmonischen Gesellschaft, die ja jetzt etwas Hoffnung hat?

Zscherpe: Na ja, im Kulturentwicklungsplan vom April dieses Jahres steht ja drin, dass es ein „Programm zur Stärkung der ehrenamtlichen Arbeit“ geben muss. Das ist eine der Sachen, die man sich auf der Zunge zergehen lassen kann und die auch viele andere Projekte betrifft. Wir sitzen mit der Philharmonischen Gesellschaft in einem Boot, neuerdings sind wir auch in den Sitzungen dabei.

Baumann: Die Politik legt es da-rauf an, uns an die Wand zu fahren, wir können es nicht anders sehen. Warum zum Beispiel können wir nicht umsonst oder billiger in die Glocke? Wir haben für unser selbst organisiertes Konzert „Hollywood in Concert“ 19.000 Mark bezahlt. Woher sollen wir das nehmen?

Welches Mitspracherecht haben Sie bei der Suche nach einem neuen Generalmusikdirektor?

Baumann: Wir sind vertreten. Beim letzten Mal haben zwanzig Leute mitgeredet, das funktioniert nicht. Wir brauchen nur drei: Theater, Philharmonische Gesellschaft und wir.

Sie haben mehrfach gesagt, Sie werden verstärkt eigene Projekte machen. Wie soll das bei der Beanspruchung, die Sie durch den Dienst in der Oper haben, gehen?

Zscherpe: Das ist eine dispositionelle Sache. Wir wollen in der Oper nicht weniger spielen, sondern anders. Wenn wir einen freien Tag haben, dann können wir mit dem nichts anfangen, mit drei hintereinander liegenden Tagen aber schon.

Baumann: Wir machen eine Kammermusikreihe, wir machen bei den Familienkonzerten mit, wir planen eine neue Reihe in der Kunsthalle.

Wie ist Ihr Verhältnis zur Kammerphilharmonie?

Zscherpe: Die Kooperationsbereitschaften werden von den Politikern auf harte Proben gestellt, wenn nicht gar zerstört. Es herrscht eine unglaubliche Doppelmoral insofern, als uns unsere soziale Sicherheit vorgeworfen und zugleich die Existenz der Kammerphilharmonie dazu benutzt wird, um uns an die Wand zu stellen. Gleichzeitig gesteht man der Kammerphilharmonie immer mehr zu, weil die zu Recht Sicherheit verlangen.

Fragen: Ute Schalz-Laurenze