Wenn eine Liegewiese plötzlich Verwirrung stiftet

Am Strausberger Platz haben die Temporären Gärten begonnen. Aber Vorsicht: Die verborgene Idylle gibt es nur dank Entschleunigung

Zur Straße hin ist das „Moskau“ einer jener Bauten der DDR-Moderne, die – sich jeder Umnutzung verweigernd – im Raum der Stadt zunächst vergammeln, um schließlich vergessen oder gleich abgerissen zu werden. Hinter dem maroden Restaurantbau an der Karl-Marx-Allee haben die Aufräumarbeiten aber längst begonnnen. Doch kein Teppichlager oder Outdoor-Tempel ist hier entstanden, sondern ein „Zwischenstück“, wie Carolin und Petra Schröder meinen. Jede Menge Müll haben sie aus dem ehemaligen Rosengarten des „Moskau“ geräumt und einen „temporären Garten“ geschaffen, der seine provisorische Idylle erst entfaltet, wenn man ihn entdeckt hat.

Mehr noch als in den vergangenen drei Jahren ist „Entdeckung“ das eigentliche Thema der diesjährigen Temporären Gärten. Unter dem viel zu sperrigen Titel „Intermetropolitane Gärten“ hat das Jahresevent des Bundes Deutscher Landschaftsarchitkten rund um den Strausberger Platz eine Art Versteck- und Verwirrspiel installiert. Ganz wie im wirklichen Leben muss die Idylle eines Gartens erst gesucht und erfahren werden, erst recht an einem Ort wie der Karl-Marx-Allee mit ihrem Mix an stalinistischem Protz und Profanität der Platte.

Und ganz wie im richtigen Leben spiegeln die Temporären Gärten auch den Bedeutungsverlust von Freiräumen und ihren Gestaltern. Oft genug gibt es Arbeit für Landschaftsarchitekten und -planer nur noch bei „Eingriffsgutachten“, mit denen die Versiegelung auf jenen Wert taxiert wird, den ein Projektentwickler als Ausgleich zu leisten hat. Freiraum als „Restroom“.

Es geht aber auch anders, oder besser, es ginge: Dass Garten nicht nur Ort, sondern auch Wahrnehmungsraum sein kann, zeigt die „Gruppe Entschleunigung“. Einige Gärtner und Floristen haben eine bemooste Sitzgruppe auf Rollrasen unter einem Apfelbaum zusammengestellt, die auf den ersten Blick wenig mit dem Thema Entschleunigung zu tun hat. Hat man aber unter dem Apfelbaum Platz genommen, bremst man unwillkürlich ab. Mit bloßem Hinsetzen hat das wenig zu tun, das gibt es in jeder Gartenkneipe. Es ist wohl die unvorhergesehene Nutzung, die hier entschleunigt.

So gesehen sind alle 20 Installationen Entschleunigungsprojekte, vom Sonnentuntergang auf der Karl-Marx-Allee bis zur Duftstation oder der „Heimat“ genannten Sammlung von Gemüse- und Obststiegen. Unterstrichen wird diese „Verlandschaftung der Stadt“ noch durch den Gestus der Akteure. Alle haben sie sichtlichen Spaß an der Verwirrung, die sie stiften, und wie im richtigen Garten oder in Balkonien bedürfte es eigentlich keines Publikums. Ohnehin hätte es die eventgeschädigte Konsumentenschar schwer am Strausberger Platz. Die meisten Gärten erlebt nur der, der seine Beobachterposition aufgibt und sich auf die Suche macht, und sei es auf eine so sinnlose wie der nach Akpatok. Hinter einer Blechabdeckung führen auf der Mittelinsel des Strausberger Platzes die Stufen hinab zu einer Stahltür. Folgt man der Treppe in Nord-West-Richtung, heißt es dort, gelangt man auf die Insel Akpatok im Nordosten Kanadas.

Wie weit das Naheliegende entfernt sein kann, verdeutlicht am eindringlichsten aber das Projekt Liegewiese. Mit einem Handgriff wird aus einem Stück Rasen am Straßenrand ein begrünter Liegestuhl, den man nach dem Sonnenbad wieder zusammenklappen kann, und alles sieht aus wie vorher. Tut es aber nicht, weil nach dem Bild des Liegestuhls jeder Rasen als potenzielle Liegewiese auf die Leerstellen der Verstädterung von Landschaft verweist.

Apropos. Als Jens Gartelmann und Klemens Hundertmark die Rasenflächen für ihre „Liegewiese“ ausstachen, traute ein Mitarbeiter des Grünflächenamtes seinen Augen nicht. Offenbar stiften die Temporären Gärten auch in der eigenen Zunft Verwirrung. UWE RADA

Die Temporären Gärten sind noch bis zum 2. Juli zu sehen