Heidepark Breuel

Animateure als Security, Grasnager in Kochtöpfen und Wet-T-Shirt-Contests auf der Expo 2000. Nur die Berliner Volksbühne schaffte mit „Nachtgrauen und Aufklärung“ nicht den optimalen Fun-Faktor

von HELMUT HÖGE

Im deutschen Pavillon stellen die Bundesländer eigene Projekte vor. Für das nun hippe Berlin trat u. a. die Volksbühne auf – mit einer „Rollenden Road-Schau“, die aus vier von der Expo finanzierten, zu Bühnen umfunktionierten Lkw-Anhängern bestand. Da der deutsche Pavillon wegen der internationalen Prominenz noch schärfer als das Kanzleramt bewacht wird (und BKA, LKA, PKA und WKA sich dort unablässig beleidigt um die Kompetenzen streiten), trugen alle mimisch Mitwirkenden Security-Fantasie-Uniformen. Was zur Folge hatte, dass sie ständig um Auskunft angegangen wurden. Nachdem Schultheiß-Bier in Flaschen ausgegeben worden war, ernteten die fortan trinkenden und rauchenden Volksbühnen-„Sicherheitskräfte“ jedoch vor allem missbilligende Blicke – von den Pavillonbesuchern, die vornehmlich aus Hannoveranern bestanden. Alle Schulen hatten expofrei bekommen. Und die Eintrittspreise waren abends auf 10 Mark heruntergesetzt worden. So dass bald nur noch die Taxifahrer, Hoteliers und Gastronomen über mangelnde Umsätze klagten. An vielen Pavillons (z. B. der Schweiz, Holland und Frankreich) aber kam es – endlich – zu den erhofften langen Warteschlangen.

Das heimliche Expo-Thema ist das Wasser – in Form von Seen, Wasserfällen, Geysiren, Tropfen, Video-Installationen, Beet- bzw. Pavilloneinfassungen und Fontänen, Fontänen, Fontänen (zur Erinnerung: Hannover hat schon seit 1847 die höchste Fontäne Europas und ist besonders stolz auf seinen künstlichen Nachkriegs-Maschsee). Wegen der Hitze kam es an den Dutzenden von Expo-Fontänen nun permanent zu Wet-T-Shirt-Contests. Und laufend gellten spitze Schreie über die Anlagen, wenn mal wieder irgendwelche Jungs ihre Mädels über eine Fontäne zerrten. Unter den Besuchern waren bedeutend mehr (flexible) Mädchen als (dumpfe) Jungs auf den Event-Plazas und Erlebnis-Parcours: Überall wippten kleine und vor allem große Brüste – zigtausende täglich, eine einzige Tittenparade.

Im Themenpark „Basic Needs/Ernährung“ hingen sie sinnigerweise sogar – zu hunderten – von der Decke herab. Der Expo-Chefin Birgit Breuel ist es damit erneut gelungen, aus den versprochenen „blühenden Landsmannschaften“ einen „kollektiven Freizeitpark“ (mit Sexappeal) zu zaubern: „Heiße Blickfänge gibt es auf der Expo reichlich“, schreibt dazu die temporäre Hannoveraner Tageszeitung Das Expo-Journal. Und selbst der Vorort-Reporter der Berliner Zeitung begrüßte es noch, dass „die Schüler sich oder doch wenigstens ihre Beine lieber in jedes zur Verfügung gestellte Wasser legten – als in den Hallen sich für dumm verkaufen zu lassen“.

Ungeachtet aller Freuden wird auch diese „gewaltige Leistung“ von Frau Breuel wohl wieder mit einem satten Milliardenverlust enden. Aber das kann man der Expo-Chefin nicht allein anlasten: Fast alle Ländervertretungen hatten die Weltausstellung mit einer Tourismusbörse verwechselt – und sich nach Kräften bemüht, ihre Region den TUI-Reisenden aufs Multimedialste und Farbenfroheste schmackhaft zu machen. Mit einer einzigen Ausnahme: Albanien. Hier hatte man einen der 200.000 Enver-Hodscha-Bunker aufgestellt, innen drin stand ein rot angestrahltes kommunistisches Partisanendenkmal und drumherum liefen Videos mit Aufnahmen von Schauprozessen gegen Antikommunisten. Das ganze Environment wurde von großformatigen Fotos flankiert, auf denen die überfüllten Flüchtlingsschiffe aus den ersten Jahren nach dem Sturz des Regimes zu sehen waren. Die Hannoveraner waren begeistert von so viel Politikfähigkeit.

Überhaupt nahm die Expo-Kritik im Quadrat ihrer Entfernung von der niedersächsischen Landeshauptstadt zu – und umgekehrt ab, d. h. in Hannover bemühten sich sogar die geharnischsten Expo-KritikerInnen, nur ja kein Messe-Highlight zu verpassen. Auch die Anwesenheit der vielen bunthäutigen Ausländer machte sich im Weichbild der Stadt aufs Angenehmste bemerkbar, demgegenüber hatte man fast alle blassen Penner, Punker und Fixer von den öffentlichen Plätzen und Passerellen für die Dauer der Weltausstellung geext.

Jetzt dominierten muntere Mittelklasse-Kids mit Handys die Einkaufszonen – laufend von ihren Eltern kontrolliert, ob sie die Geräte auch eingeschaltet hatten. Im finnischen Pavillon schwirrten die Überwachungs-Handys sogar – als Vögel getarnt – durchs Kinderzimmer. Russland und die Ukraine präsentierten dagegen stolz wie die Spanier ihre neuesten Atomkraftwerke – als erleuchtete Modelle – und China seinen gigantischen Drei-schluchtenstaudamm, außerdem Paraphernalia für Mondlandungen. Was verwundern darf, denn ausgerechnet in Rotchina glaubte damals fast jeder, dass die Landung der Amerikaner auf dem Mond vor rund 35 Jahren ein reiner Medienfake war. Solche und ähnliche Idiotismen gab es zu hunderten auf der Expo zu bestaunen: z. B. die üppigen wunderschönen Stände der wahren Horrorländer Pakistan und Bangladesch. Ferner den kunstvollen Mongolei-Stand, der noch von Joseph Beuys persönlich hätte stammen können. Dagegen dann die völlig leere Halle des Themenparks „Arbeit“, von einem französischen Promi-Architekten in grenzenloser Ideenlosigkeit gestaltet usw.

„Mit dieser Sprachlosigkeit könnte die Ausstellung [. . .] schweigender Protest gegen die Ignoranz der gesellschaftlichen Verhältnisse sein“, schreibt der Projektmanager und Radfahrer Volker Peters – allerdings im Katalog von „Basic Needs“. In diesem ebenfalls ziemlich leeren Themenpark begegnete einem als erstes ein riesiges goldenes, mit Orden vollgehängtes Hausschwein des russischen Künstlers Jurij Selivanov. Man wollte damit „ein Hauptanliegen für die Ernährung im 21. Jahrhundert vermitteln: die Freude am Essen“.

An lebenden Tieren zeigte die Ausstellung dazu afrikanische Grasnager, deren geräumiger Käfig einer mitteleuropäischen Neubauwohnung nachempfunden war. Die Kleinsäuger hielten sich vornehmlich im Wohnzimmer auf. Dort lief ununterbrochen der Fernseher – und afrikanische Frauen zeigten darin den Grasnagern, wie unterschiedlich man Grasnager zubereiten kann. Dieser mitleidenswürdige Medien-Kannibalismus korrespondierte sicher nicht zufällig mit dem neokannibalistischen Austro-Manifest, das Sophie Rois im Rahmen der Rollenden Road-Schau der Volksbühne vortrug. Die Zuschauer applaudierten dazu höflich und der Volksbühnen-Koch schnibbelte derweil Weißkohl in einen Topf. Es folgte eine Würstchengrillparty von vier Badenixen, die schließlich duschend in einem Gasnebel verendeten.

Dies war die eine – die dunkle, grauenvolle Seite – des Volksbühnen-Spannungsbogens. Jürgen Kuttner versuchte anschließend mit seinem Videoschnipsel-Vortrag, der sich zuletzt um kostenlose Narva-Energiesparlampen in Neubauwohnungen drehte, aufklärerisch dagegenzuhalten. Hinzu kam dann noch ein Exkurs über die unsterbliche Glühbirne. Alles vergebens: Das Publikum wollte sich partout amüsieren. „Das ist so ne Berliner Kabaretttruppe“, erklärte ein Hannoveraner einer nachdenklichen Nienburgerin neben sich. Und der Rezensent einer niedersächsischen Zeitung schrieb anderntags hämisch: „Nicht immer klappte es mit dem Provozieren . . .“

Eher gelang dies schon über die Tücken des Objekts – deutscher Pavillon – selbst: bei beiden Volksbühnen-Vorstellungen brachen jeweils einige Zuschauer mit ihren maroden (DDR?)-Plastestühlen zusammen, zuvor waren bereits zwei andere Pavillon-besucher von einem Geländer gestürzt und hatten sich dabei schwer verletzt, so dass eine Plakatankündigung der Berliner Performancegruppe „Gob-Squad“ mit dem Titel „Where do you want to go to die?“ plötzlich derart provokatorisch wirkte, dass die Pavillonleitung ihre sofortige Entfernung verfügte.