Afrika ohne Löwen

40 Jahre ist Afrika jetzt unabhängig. Doch die Feiern fallen gedämpft aus. Der krisengeschüttelte Kontinent verliert seine Mythen und wird Teil der globalisierten Welt. Das hat auch seine Vorteile
von DOMINIC JOHNSON

Für den Staatsakt zum 40. Unabhängigkeitstag ließ sich die Regierung der Demokratischen Republik Kongo etwas Besonderes einfallen. Informationsminister Didier Mumengi schrieb ein Theaterstück, das Präsident Laurent-Désiré Kabila als irdische Reinkarnation des göttlichen Simba (Löwe auf Suaheli) darstellt. Simba, von dem der Legende nach alle Kongolesen abstammen, versucht in wiederholten Wiedergeburten, die Kongolesen an ihre Werte von Einheit und Solidarität zu erinnern. Die vergessen sie nämlich immerzu unter dem Einfluss böser ausländischer Geister. Dieses packende Drama wurde zum Unabhängigkeitstag des 30. Juni aufgeführt.

Nicht alle afrikanischen Regierungen müssen so tief in die Mottenkiste greifen, um sich an die glorreichen Zeiten um den 1. Juli 1960 zu erinnern, als ein afrikanisches Land nach dem anderen in die Unabhängigkeit entlassen wurde und Afrika der Kontinent der Morgenröte war. Ghana zum Beispiel, das an diesem 1. Juli der Ausrufung der Republik vor 40 Jahren gedenkt, präsentiert sich in einer Werbebroschüre als resolut modernes Land der „globalen Perspektiven“. Allerdings auch nur gedämpft. Im Gefälligkeitsinterview wird Finanzminister Kwame Peprah gefragt: „Überrascht Sie die Schwere der derzeitigen Wirtschaftskrise in Ghana?“ Antwort: „Wir sind sehr überrascht.“

Kongo ist Afrikas Problemfall, Ghana gilt als Afrikas Musterland – aber zu feiern gibt es im Jahr 2000 nirgends viel. Noch vor zehn Jahren, als 30 Jahre Unabhängigkeit zur Feier anstanden, gab es große Hoffnungen auf die „zweite Befreiung“ des Kontinents. Eine neue Generation von Demokraten sollte die verdienten und zugleich ausgedienten großen Freiheitshelden der 60er-Jahre ablösen und den kriselnden Kontinent zu neuen Ufern führen. Die Demokratisierung scheiterte aber fast überall.

Heute herrscht unter afrikanischen Politikern tiefe Verbitterung über die als systematisch wahrgenommene Marginalisierung Afrikas in der Welt und eine diffuse Nostalgie für die großen alten Zeiten der Befreiungskämpfer. Zugleich hängt die Wirtschaftsentwicklung immer deutlicher von den schwankenden Präferenzen internationaler Investoren und Geldgeber ab; die Regierungen sind darüber immer öfter „sehr überrascht“.

Die Globalisierung hat Afrika ergriffen, und sie bewirkt grundlegende Paradigmenwechsel. Immer mehr Kriege erschüttern Afrika, aber von ethnischen Konflikten ist immer seltener die Rede. Die Kriege in Kongo und Sierra Leone, die die internationale Diplomatie am meisten beschäftigen, werden stattdessen streng ökonomisch erklärt. Mit einer Systematik, die früher als marxistisch verschrien worden wäre, leiten politische Beobachter aus der Gier nach Rohstoffen und der dain enthalten Möglichkeiten der Kapitalakkumulation ganze Länder- und Konfliktanalysen ab und richten daran ihre Außenpolitik aus.

So betreiben der südafrikanische Bergbaukonzern De Beers und die britische Regierung gemeinsam eine Regulierung des Welthandels mit Diamanten, um afrikanischen Rebellen die Geldquellen abzugraben. Vor wenigen Jahren wäre es noch undenkbar gewesen, dass multinationale Konzerne und dem Freihandel verpflichtete Regierungen ökonomische Mittel einsetzen, um politische Ziele zu erreichen.

Ob diese Konfliktbewältigung der Komplexität afrikanischer Krisen gerechter wird als die früher übliche ethnische Schematisierung, muss sich erst zeigen. Zumindest wird anerkannt, dass auch im finsteren Dschungel die weltweit üblichen banalen Motive menschlichen Handelns am Werk sind und kein unerklärliches „wildes Denken“. Für die Außenwahrnehmung ist das ein Fortschritt gegenüber den Zeiten, als von Europa aus gesehen alle Afrikaner nur irgendwelchen Stämmen angehörten und sich in Stammeskriegen gegenseitig die Köpfe einschlugen. Afrikas Globalisierung ist zugleich Afrikas Ökonomisierung.

Allerdings kommt Afrikas Ökonomisierung nicht nur von außen, sondern auch von innen. Afrikas Jugend – die die Hälfte der Bevölkerung stellt – ist immer öfter in der Lage, über die Grenzen des eigenen Landes hinauszublicken und am global village teilzunehmen. Wer zu Geld und Erfolg kommen will, sucht immer seltener die nationale Erfüllung, also die große und korrupte Karriere im Dienst der verehrten Führer des eigenen Landes. Man orientiert sich an denselben grenzenlosen Helden und Mythen, die auch die Jugend Europas, Amerikas und Asiens faszinieren.

Dies verändert die gesamte Dynamik der Innenpolitik afrikanischer Staaten. Die alten, meist tribalen Loyalitäten zählen immer weniger und auch nur dann, wenn sie mit neuen, meist finanziellen Banden aufgefrischt werden. Die Werte von Status, Charisma und altmodischer Ehre, die früher die Auslese politischer Führer und Akteure bestimmten, verblassen. Neue Kräfte drängen in die Politik mit einer neuen Logik, und sie schließen auch marginalisierte Bevölkerungsteile mit ein, die früher außerhalb des Wahrnehmungsbereiches der Politik blieben. Noch nie zählte Afrika so viele aktive bewaffnete Gruppen und Rebellen wie heute, was auch daran liegt, dass diese es noch nie so leicht hatten, per Internet auf sich aufmerksam zu machen.

Aber zugleich waren diese Gruppen insgesamt gesehen noch nie so unbeliebt. Befreiungsbewegungen gibt es in Afrikas Kriegen kaum noch. Immer mehr Leuten wird immer klarer, dass die politischen Akteure des Kontinents – ob als Staatschefs, Parteienchefs oder Rebellenchefs – an erster Stelle für ihre persönlichen Interessen handeln. Auf Anhänger können sie nicht bauen, sondern sie müssen sie sich kaufen. Da aber kann jeder mitmischen, der das nötige Kapital zusammenbringt und es klug einsetzt. Afrikas Politik ist offener denn je zuvor. Statt großer Visionen, denen sich alle unterordnen sollen, herrscht freies Feld für alle.

Versuche von außen, auf diese Ökonomisierung der afrikanischen Innenpolitik von außen mit wiederum ökonomischen Mitteln einzuwirken, können unter diesen Umständen ungeahnte und ungewollte Folgen haben. Wer die Schattenwirtschaft knebelt, um Schattenpolitiker mundtot zu machen, stärkt damit womöglich nur die alten Oligarchen, stabilisiert Ungerechtigkeit und schürt damit neues Konfliktpotential – also genau das Gegenteil des propagierten Zieles. Die Diskussion darüber steht erst ganz am Anfang.

Solange diese Debatte andauert, hat Afrika jedoch einen seltenen Vorsprung. Es ist nüchtern geworden. Der Kontinent weckt in sich selbst keine Hoffnungen mehr, die er dann später enttäuscht. Nach 40 Jahren Unabhängigkeit voller Fehlschlägen wird nichts mehr gefeiert. Eigentlich wäre gerade das eine Feier wert – irgendwo tief im Busch unter Strohdächern zum tropischen Sonnenuntergang, unerreichbar für Staatspräsidenten, Hilfsorganisationen und den UN-Sicherheitsrat.

Hinweise:Immer mehr Kriege erschüttern Afrika, aber von ethnischen Konflikten ist immer weniger die RedeDie hergebrachten Werte von Status, Charisma und altmodischer Ehre verblassen