Nur Handys, keine Goldesel

Ein Anbieter nach dem anderen steigt aus der Versteigerung für die neuen Mobilfunk-Lizenzen aus. Weniger Einnahmen für Bundesfinanzminister Hans Eichel. Neue Ökonomie auf dem Boden der Tatsachen: Telekom-Aktie sackte auf unter 60 Euro

von HANNES KOCH

„Das ist der Selbsterhaltungstrieb“, kommentiert Michael Rebstock, Sprecher der Telekommunikationsfirma Viag-Interkom. „Die Manie ist zu Ende.“ Nicht nur in der Münchner Chefetage, auch bei anderen Telekom-Konzernen macht sich Erleichterung breit. Denn ein Bewerber nach dem anderen scheidet aus der Versteigerung für die Lizenzen der neuen Handy-Netze aus. Für die verbleibenden Bieter könnte deshalb der Preis sinken, für den sie im August eine Genehmigung zum Aufbau eines neuen Netzes bei der Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation erwerben werden.

Die letzte Absage kam aus den USA: Die Firma Worldcom wollte nicht mehr. Wahrscheinlich war dem US-Anbieter die Lizenz schlicht zu teuer. Ein Kaufpreis von bis zu 15 Milliarden Mark lässt sich in vernünftigen Zeiträumen kaum erwirtschaften. Worldcom war bereits Nummer Vier. Zuvor hatten sich Talkline, Vivendi und die Nets AG verabschiedet. Nun bleiben noch acht Interessenten – unter ihnen Mannesmann, T-Mobil und E-Plus.

Am Beispiel der Handy-Lizenzen für die neue UMTS-Technik (Universal Mobile Telecommunications Services) lässt sich schön beobachten, wie eine Goldgräberstimmung die Wirtschaft durcheinander wirbelt. Auf dem Höhepunkt des Internet- und Telekom-Booms an den Aktienmärkten versteigerte Großbritannien Ende April seine UMTS-Lizenzen. Im Glauben an den immerwährenden Aufschwung schaukelten sich die teilnehmenden Konzerne derart hoch, dass die Regierung Blair schließlich 75 Milliarden Mark einnahm – Summen, die manchen der Gewinner noch an den Rand der Existenzkrise bringen könnten. Zwar mutiert das Handy dank der ultraschnellen Übertragung – UMTS schafft die 200-fache Datenmenge im Vergleich zum heutigen Standard – zum mobilen Multimedia-PC. Ob jedoch die NutzerInnen der Zukunft dermaßen viel telefonieren und vom Strand aus online shoppen, dass die Konzerne halbwegs zügig ihre Kosten hereinholen können, steht in den Sternen.

Angesichts der überzogenen britischen Kaufpreise zog sich zum Beispiel Talkline aus der bevorstehenden deutschen Versteigerung zurück. „Anfangs hätten wir zwei Milliarden Mark Verlust pro Jahr gemacht“, sagt Sprecher Martin Ortgies. Erst nach 15 bis 20 Jahren hätte die Firma ihre Kosten wieder eingespielt. Denn mit dem Kauf der Lizenz ist es nicht getan: Hinzu kommen zehn oder mehr Milliarden Mark für den Aufbau des Netzes.

„Mehr als zehn Milliarden Mark sollte man für eine Lizenz nicht ausgeben“, erklärt denn auch Viag-Interkom-Sprecher Rebstock. Das Unternehmen kann sich diese Summe aus zwei Gründen leisten: Zum einen kann man auf einem schon existierenden eigenen Handy-Netz aufbauen, zum anderen steht im Hintergrund der gerade fusionierte Energiekonzern E.on – früher Veba und Viag. Die Unternehmen verfügen unter anderem wegen der einst steuerfreien Rückstellungen für Atomunfälle über Finanzpolster in Höhe von Dutzenden Milliarden Mark.

Was die Unternehmen freut, dürfte Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) ärgern. Offiziell hat er zwar nur 20 Milliarden Mark Handy-Erlöse im Haushalt eingeplant, doch rechneten seine MitarbeiterInnen nach den britischen Ereignissen bereits mit einer Geldschwemme von 100 Milliarden Mark oder mehr. Daraus wird nun nichts – vielleicht kommt die Hälfte herein. Das stellt die Sanierung des Haushalts nicht in Frage, schränkt jedoch den zusätzlichen Spielraum der Wirtschafts- und Finanzpolitik ein. Um den Erlös der Versteigerung hoch zu halten, überlegt man im Finanzministerium nun offenbar, nicht sechs Lizenzen zu verkaufen, sondern nur vier oder fünf.

Dass die vor kurzem noch übersteigerten Erwartungen des New-Economy-Hypes jetzt an der Realität gemessen werden, zeigt sich auch an anderer Stelle: Der Aktienkurs der Deutschen Telekom AG sackte in den vergangenen Tagen drastisch ab. Nach Höchstständen von rund 104 Euro im März dümpelte der Titel gestern bei unter 60 Euro. BeobachterInnen meinen, dass die Telekom den letzten Schuss nicht gehört habe: Noch immer sei sie bereit, einen Fantasie-Preis von rund 100 Milliarden Mark für das US-Unternehmen Sprint zu zahlen.