kabolzschüsse
: Auf der Suche nach Berlins randigster Randsportart

Lacrosse

Der Kontext, in dem Lacrosse in Deutschland ein breites Publikum erreichte, war schlüpfrig. In dem Film „American Pie“ wurden ein paar Szenen des Mannschaftssports gezeigt. Kräftige College-Boys rauschten mit eigentümlichen Schlägern über den Platz und fügten durch ruppige Checks ihren blütenweißen Leibchen mit der Aufschrift „East Great Falls“ Grasflecken bei.

Das nur am Rande. Denn der Streifen trug seinen Titel nicht umsonst. Die Schlüsselszene: Ein von der Wucht pubertärer Hormonstöße geschüttelter Pennäler steckt in Ermangelung einer Beischläferin seinen prallen Puller in warmen Apfelkuchen. Papa kommt just in diesem Moment herein, zeigt Verständnis und reicht dem Sohn einschlägiges Bildmaterial, das fortan zu dessen Erleichterung dient.

„Wir sind geschlossen in den Film gegangen“, sagt ein Spieler des Berliner Vereins VfK 1901. Sie hätten damals von Szenen gehört, Sportszenen, die sie sich nicht entgehen lassen sollten. Danach waren sie enttäuscht, weil es keine Dokumentation über Lacrosse war, sondern nur eine Teenie-Posse. Egal. Lacrosse-Spieler heischen nicht nach Aufmerksamkeit, sie betreiben ihren Sport mit der Distinguiertheit von WASPs. Das ist die Schnöseltruppe von der amerikanischen Ostküste oder auch: weiße angelsächsische Protestanten mit Stammbaum.

In Berlin hat Lacrosse frische, zarte Wurzeln geschlagen. Ein zweiter Verein – Blax e. V. – existiert neben dem VfK. Sportsmänner von Blax haben sich sogar vor Kinos, in denen „American Pie“ lief, postiert, um Werbung zu machen. Der VfK hat das nicht nötig. Weil: Sie verkloppen die Blaxer regelmäßig und Nachwuchs ist auch stets da. Überdies sagt ein Jura-Student: „Bei Blax sind sie mehr auf Party aus.“

Sieht man die Lacrosse-Spieler im Sportluftbad Eichkamp oder in der Nähe des Olympiastadions in der Ferne trainieren, so hält man das Treiben für einen Ausflug von Schmetterlingsfreunden, die mit Käscher und Botanisiertrommel der Natur barsch zu Leibe rücken. Näher betrachtet erkennt der Außenstehende die Verbindung zum American Football und Eishockey. Die Spieler tragen verschiedene Protektoren, Helm, auch ein Suspensorium, da Stiche mit dem Schläger erlaubt sind. Nur Schienbeinschützer verschmähen sie. Man achtet penibel darauf, dass jede Verbindung zum Fußball gekappt ist.

Die Regelkunde ist einfach: Ball muss ins Tor. Zu diesem Behufe verlustieren sich neun Feldspieler und ein Torhüter auf einer hockeyfeldgroßen Fläche. Die Details sind interessant. So dürfen die Verteidiger ihr Abwehrdrittel unter Strafandrohung nicht verlassen, und den Hartgummiball einwerfen darf dasjenige Team, dessen Spieler näher zum Ausball postiert war.

Diese irrationale Gesetzgebung geht auf eine Zeit zurück, in der das Spiel noch „Baggataway“ hieß und von den Irokesen gespielt wurde, tagelang, in Hundertschaften. Dann kam ein französischer Missionar namens Jean de Brébeuf und lehrte die Wilden Zucht und Ordnung. Baggataway benannte der Geistliche in Lacrosse um, weil der Schläger wie ein Bischofsstab aussah (frz.: la crosse). Zugeständnis an die Irokesen: Sie bekamen eine eigene Nationalmannschaft neben der amerikanischen.

In Europa sind die Tschechen, Schweden und Briten stark – die Deutschen auch. Beim VfK 1901 spielen immerhin drei Nationalspieler: Uli Hauffe, Henrik Neumann und Florian Kälberer. Die Freiluft-Saison ist kurz. Turniere werden von März bis September gespielt. 15 bis 18 Teams mit 500 Mitgliedern streiten um den Titel. Deutscher Meister 1999 wurde – der VfK.

MARKUS VÖLKER

Auf der Außenseiterskala von null bis zwölf: 7 Punkte