Käpt’n Küng auf großer Fahrt

Wie das amtierende Weltgewissen einmal sogar beinahe den Super-Blair austrickste

Super-Blair merkte, wie sich eines seiner Beine leicht vorschob in die programmierte Kapitänsstellung

TÜBINGEN taz ■ Super-Blair fühlte sich blendend. Nach seinem fehlgeschlagenen Auftritt vor einer britischen Frauenvereinigung, wo er ins Stottern gekommen war und abbrechen musste, war sein automatisches Lächeln neu justiert worden. Er spürte, wie die Mundwinkel zuverlässig nach oben zeigten, und das war ein gutes Gefühl. Dynamisch betrat er den Festsaal der Tübinger Universität. Es war Freitag, und er durfte eine Weltethosrede halten. Unter der Welt machte es Super-Blair nicht. Beifall brandete auf, er winkte und lächelte und winkte, und alles war gut.

Es sollte eine harmonische Veranstaltung werden, das hatte sein Freund Hans, der mutige Weltethiker, versprochen. Im Festsaal saßen vorwiegend Honoratioren jenseits der fünfzig: Minister, Bürgermeister, Chefredakteure und Marion Gräfin Dönhoff leibhaftig. Auf der Bühne waren Blumengebinde und drei Reihen von Weltethos-Mitarbeitern postiert. Die Masse der Studenten hatte man in zwei benachbarte Hörsäle verfrachtet, wo sie dem Großereignis auf einer Großleinwand beiwohnen durfte.

Die Bedingungen waren also optimal für die große Weltethosrede, zu deren Anlass die Techniker der Downing Street extra eine neue Rhetorik-Oberfläche installiert hatten. Super-Blair merkte, wie sich eines seiner Beine leicht vorschob in die programmierte Kapitänsstellung. Das automatische Lächeln wich einem staatstragenden Gesichtsausdruck, und während sich auf der Stirn die Faltenhydraulik einschaltete, fühlte er, wie eine irre Freude in ihm hochstieg. Plötzlich waren die Gegensätze keine Gegensätze mehr, es gab nicht links, nicht rechts, nur „right and wrong“, und er wusste, was right war, und er spürte, dass die Leute in diesem Saal ihn verstanden.

Ja, diese Menschen waren bereit, nicht nur Verantwortung zu tragen, sondern es auch von anderen zu verlangen, in ihrer „community“ und weltweit. Super-Blair hörte sich sagen: „We believe in law and order“, und trotzdem blieb die Menschenmenge vor ihm angenehm weich. Kaum Protest, außer von ein paar Studenten, die hinten im Festsaal auf ihre Stühle stiegen und ein Transparent mit der Aufschrift „War monger“ formten, um Super-Blair als „Kriegstreiber“ zu geißeln. Ab und zu riefen sie „Bullshit“ und „Fuck you“. Super-Blair spürte, wie sein neuer Scanner für „antisocial behaviour“ kurz summte, aber sein Sprachprogramm war stärker und generierte die Worte „my young friends“.

Ausgerechnet sein guter Freund Hans aber sollte ihm in den Rücken fallen. Käpt’n Küng, das schwer zerfurchte Weltgewissen, das die ganze Zeit über huldvoll in seinem Korbsessel geruht hatte, stellte die Fragen, die ein amtierendes Weltgewissen eben so stellen muss, wenn es weiterhin über die sieben Weltmeere des Ethos dahinsegeln will. Was denn wäre mit solch hässlichen Dingen wie den Kriegen auf dem Balkan, die man vielleicht im Vorfeld hätte vermeiden können?

Nicht ein Hauch von Verunsicherung wehte Super-Blair an. In Sekundenschnelle waren die Konfliktvermeidungssysteme hochgefahren, das automatische Lächeln reaktiviert, das Sprachprogramm schaltete in den Diplomatie-Modus. In der Politik gibt es „Tensions“ und bei allen Spannungen ist doch die Hauptsache, man bleibt im Gespräch, womit wir wieder beim Weltethos und Käpt’n Küng wären, der einen Schritt bei der Weltenerrettung vorangekommen war.

Applaus, Applaus. Super-Blair ahnte, dass er alles richtig gemacht hatte. Leider war jetzt alles vorbei. Oh, da kommt ja der Leibwächter. Och, schon gehen. Ist doch schön hier in Heidelberg. Lächeln aktivieren. Winke, winke. Super-Blair nach rechts ab. DANIEL WIESE