Zwischen den Fronten

Nach fünf Jahren hat eine Delegation von „Reporter ohne Grenzen“ erstmals wieder Algerien bereist – eingeladen vom Präsidenten, aber boykottiert von der einheimischen Journalisten-Gewerkschaft

aus MadridREINER WANDLER

„Die Gewalt gegen Journalisten ist vorbei“, lautet die wohl wichtigste Schlussfolgerung einer fünfköpfigen Delegation von Reporter ohne Grenzen (RsF) nach einem sechstägigen Besuch in Algerien. Über 100 tote Pressemitarbeiter, davon 55 Journalisten, listet die in Paris ansässige Organisation zur Verteidigung der Pressefreiheit auf. Der letzte, Hamoui Mokrane, wurde im Oktober 1996 ermordet. „Seither ist es zu keinen Gewalttaten mehr gegen Journalisten gekommen“, bestätigt der RsF-Generalsekretär Robert Ménard, auch wenn „viele Kollegen – vor allem außerhalb der großen Städte – noch immer bedroht werden“.

Die am Wochenende zu Ende gegangene Informationsreise von RsF in Algerien war die erste seit fünf Jahren. Die Einladung dazu kam von Präsident Abdelaziz Bouteflika persönlich, der nach acht Jahren Krise wieder Normalität demonstrieren will.

„Nur 20 der über 100 Morde sind vor Gericht geklärt“, beklagt sich Ménard. Auch wenn er davon ausgehe, dass die „überwiegende Mehrheit“ der Anschläge auf das Konto bewaffneter islamistischer Gruppen gehe, seien in einigen Fällen Zweifel angebracht, ob nicht Polizei oder Armee dahinterstecken. „Wir fordern die Regierung auf, wirkliche Untersuchungen über die Attentate und die Entführungen durchzuführen“, fordert der RsF-Sprecher und stößt damit bei vielen algerischen Journalisten auf Kritik.

„Mit der Suche nach Verantwortlichen auf Seiten des Staates unterstützt RsF die Theorien der Islamisten, die sich damit selbst reinwaschen wollen“, schimpft das Vorstandsmitglied der unabhängigen Journalistengewerkschaft (SNJ), Lazhari Labter. „Wir brauchen niemand von außen, der uns sagt, was hier los ist“, begründet er den Aufruf der SNJ zum Boykott der RsF-Delegation.

Die größte frankophone Tageszeitung des Landes, Liberté, kündigte auf der Titelseite an, die Delegation nicht zu empfangen. Die Redaktionen von El Khabar und Le Soir weigerten sich ebenfalls, der Delegation Rede und Antwort zu stehen. Und bei El Watan bekam RsF nach einer Abstimmung im Redaktionsrat ebenfalls Hausverbot.

Dennoch konnte RsF mit Journalisten aus allen staatlichen und privaten Medien sprechen. Wo der SNJ-Boykott befolgt wurde, suchten viele Journalisten nach Feierabend selbst den Kontakt. 100 der insgesamt 600 SNJ-Mitglieder unterschrieben einen öffentlichen Brief gegen die Linie ihrer Gewerkschaft.

Auch wenn RsF nach ihren sechstägigen Untersuchungen zum Ergebnis kommt, Algerien habe mit 33 Tageszeitungen eine „gefestigte Pressevielfalt“, beeinflusst die Regierung spürbar die öffentliche Meinung. RsF fordert deshalb das Ende des staatlichen Rundfunk- und Fernsehmonopols, eine vollständige Öffnung des Landes für alle ausländischen Journalisten sowie eine Reform des Pressegesetzes, das eine „Beleidigung von Amtspersonen“ unter Strafe stellt.

Auch ökonomisch würden manche Zeitungen immer wieder unter Druck gesetzt. Zum einen mit Werbeaufträgen, die zu 65 Prozent von Staatsbetrieben und der staatlichen Agentur ANEP kommen, zum anderen über die staatlichen Monopoldruckereien. Ein weiteres Problem sind die desolaten Arbeitsbedingungen: Die meisten algerischen Journalisten verdienen umgerechnet gerade mal 240 bis 300 Mark monatlich. „Dass heute noch immer über 200 Journalisten in den Sicherheitshotels außerhalb Algiers wohnen, ist längst nicht mehr auf den Terrorismus zurückzuführen, sondern auf soziale Not“, sagt SNJ-Vorstandsmitglied Labter.

Die SNJ hat deshalb eine Wohnungsbaukooperative gegründet. Doch Wohnungsbaukredite, wie in Europa üblich, sind im algerischen Bankwesen nicht vorgesehen. Deshalb will die SNJ die Regierung in die Verantwortung nehmen. „Wir wollen nichts geschenkt“, sagt Labter, „wir wollen nur, dass die Regierung uns mit Krediten und einem preisgünstigen Grundstück unter die Arme greift.“ Auch dieser Wunsch blieb bisher konsequent ungehört.