Ein Kaktus in New York

Und wie geht’s jetzt weiter? Im Gespann mit Jack Lemmon war Walter Matthau über Jahrzehnte der verschlampte Haudegen. Seine ersten Rollen fand er aber im Thriller und Western. Am Samstag ist der Komiker, der doch mehr nach einem Kettenraucher aus Manhattan klang, am Herzinfarkt gestorben

von HARALD FRICKE

Zwei Männer spazieren einen grünen Hügel hinauf. Der kleinere von ihnen hüpft wie ein Ball und fuchtelt mit den Armen in der Luft, der andere hört zu. Dabei hat er den Kopf vornübergebeugt und erinnert in seinem steifen Anzug an eine große Krähe, die sich mit einem Spatzen unterhält. Regisseur Peter Bogdanovich hat die Szene so gut gefallen, dass er sie mehrere Minuten lang in seiner Dokumentation „The Gentleman Tramp“ zeigt: Walter Matthau ist bei Charlie Chaplin zu Besuch, 1975, zwei Jahre vor Chaplins Tod. Die beiden waren ein ungleiches Paar, dort oben auf dem Hügel, im schweizerischen Vevey. Auch wenn man bei Matthau nur an Jack Lemmon denkt, wenn es um Pärchenbildung geht. Jetzt muss Lemmon ohne ihn weitermachen: Walter Matthau ist am Samstagmorgen mit 79 Jahren in Santa Monica gestorben.

Im Februar war Matthau noch einmal beim CNN-Talker Larry King zu Gast. Er sah sehr ramponiert aus, monatelang hatte er wegen mehrerer Lungenentzündungen im Krankenhaus gelegen. Trotzdem, sagte Matthau, sei alles o.k. Nur eine Sache hätte ihm einen gehörigen Schrecken versetzt: Im National Enquirer war vor einiger Zeit zu lesen gewesen, dass er, Matthau, in den Armen seines Freundes Jack Lemmon gestorben sei. Dabei hätten die beiden erst gestern Lemmons 75. Geburtstag gefeiert. Und dass er heute so mitgenommen aussehe, läge einzig am Wein. Neben Matthau saß derweil Diane Keaton und konnte sich vor Lachen kaum halten.

Matthau mochte es nicht, wenn man ihn ständig als Komödianten bezeichnete. Er wäre nicht komisch, zumindest nicht im richtigen Leben, erklärte er immer wieder. Dass er in Filmen mit Lemmon immer den Part des Komikers spielen musste, empfand er als Fehlbesetzung: Lieber wäre er in „Das ungleiche Paar“ der hypochondrische Felix gewesen und nicht bloß der lustige Sportreporter Oscar. Außerdem könne er auch keine Witze erzählen – schon als Kind fragte seine Mutter immer, wenn er bei der Pointe angekommen war: Und wie geht’s jetzt weiter?

Ursprünglich war eine Karriere als Filmschauspieler für den 1920 in New York geborenen Walter Matuschanskayasky gar nicht vorgesehen. Erst 1955 gab er in dem Western „Der Mann aus Kentucky“ sein Debüt als grobschlächtiger rifle man. Und auch in folgenden Filmen wie „Slaughter on Tenth Avenue“ (1957) oder „Gangster Story“ (1960) war Matthau das Finstergesicht, das sich erst mit den Jahren in ein zerknautschtes, faltiges Schmunzeln verwandelte. Dass er sich allerdings perfekt verwandeln konnte, lag an seiner Ausbildung bei Erwin Piscator in den Fünfzigerjahren. Damals hatte ihn auch Billy Wilder am Broadway gesehen. Er war vor allem von Matthaus Sex-Appeal begeistert. Doch genau solche Rollen durfte Matthau nicht spielen: Als er für „Das verflixte 7. Jahr“ neben Marilyn Monroe den Part des verführten Ehemanns übernehmen sollte, musste Wilder umbesetzen, weil die Zensur eine dermaßen explizite Paarung nicht durchgelassen hätte.

So blieb ihm nur Jack Lemmon – und der Erfolg in Hollywood. Gleich für ihr erstes Zusammentreffen in „Der Glückspilz“ 1966 erhielt Matthau als ausgefuchster Rechtsanwalt den Oscar für die beste Nebenrolle. Zwei Jahre später kam dann „Das ungleiche Paar“, der Film, mit dem Matthau endgültig auf den Typ des verschlampten Haudegens festgelegt wurde. Plötzlich war selbst der 1963 entstandene Atombomben-Thriller „Angriffsziel Moskau“ wie ausgelöscht aus seiner Biografie (drei Jahrzehnte später wurde der Charakter des unentwegt Marlboro rauchenden UFO-Agenten in „X-Files“ trotzdem jenem schlecht gelaunten Pentagon-Mann nachempfunden, den Matthau damals gespielt hatte).

Und Matthau blieb Komiker bis zum Ende. Nicht nur wegen der ständigen Arbeit im Gespann mit Lemmon und Wilder, etwa 1974 in „Extrablatt“ oder für die 1981er-Klamotte „Buddy, Buddy“. Sondern aus Routine. Ob er in „I.Q.“ einen trotteligen Albert Einstein spielte oder den brummigen alten Nachbarn in „Dennis The Menace“ – nie sah man Matthau an, dass seine Zuneigung eher dunklen Krimis im Stil der Schwarzen Serie galt als dem Familienentertainment. Vielleicht liegt es auch an der deutschen Synchronisierung, dass man ihn hierzulande mehr als Schelm wahrgenommen hat: Ohne die näselnde Stimme von Wolfgang Völz klang Matthau wie ein knarzender Kettenraucher aus Manhattan. Einmal zumindest ist es ihm dennoch gelungen, die beiden Pole seiner Karriere in einem Film zu verbinden: Für „Die Kaktusblüte“ durfte er 1969 neben Ingrid Bergmann einen Zahnarzt spielen, der sich über seine Midlife-Crisis mit Blondinen zu retten versucht. Am Ende siegt auch hier die Liebe zu seiner ergrauten Assistentin. Und der Kaktus blüht.