Neuer Mix des Risikos

Wie sich Wirtschaft und Renten entwickeln werden, weiß keiner. Genau darum muss die private Vorsorge eingeführt werden. Sie wirft zuverlässige Renditen ab, wie langfristige Vergleiche zeigen

von GERT WAGNER

Riesters große Rentenreform geht momentan in eine nächste Runde der Debatte. Gerade versuchen sich Kanzler Schröder und sein Minister mit den Gewerkschaften und den Arbeitnehmern in der SPD zu einigen, um dann einen Konsens mit der Union zu finden. Mühsam versucht die Gesellschaft der Diskussion zu folgen.

Im Kern besteht die Reform aus zwei großen Teilen: Zum einen soll die Rente um eine private Vorsorge ergänzt werden; zum anderen werden auch die Rentner von heute herangezogen, um langfristig die Generationengerechtigkeit zu sichern.

Letzte Woche nun mischte sich Heiner Flassbeck, seinerzeit Staatssekretär neben Finanzminister Lafontaine und zuvor Chefvolkswirt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), in die öffentliche Debatte ein. In der taz vom 24. Juni argumentierte er, dass eine private Zusatzvorsorge das künftige Wachstum gefährde. Flassbeck hat sicher Recht, dass die Einführung einer kapitalgedeckten Rente kein Konjunkturprogramm ist. Aber neben einer guten Konjunktur gibt es auch andere wirtschafts- und sozialpolitische Ziele, die Flassbeck – man möchte sagen: wie immer – vernachlässigt.

Bei der Einführung der privaten Vorsorge geht es um einen neuen Mix der Risiken, denn sowohl das Umlageverfahren als auch das Kapitaldeckungsverfahren sind keine bombensicheren Geldanlagen – aber die Risiken sind unterschiedlich verteilt (Alterung der Bevölkerung versus Kapitalmarktzins- und Wechselkursrisiko). Deswegen ist eine Mischung des „Vorsorgeportfolios“ im Interesse aller.

Diese gemischte Vorsorge wird den Arbeitnehmern ermöglicht, indem Riester das heutige Rentenniveau bereits für dieses und nächstes Jahr schlagartig gesenkt hat. Die Beiträge für die Arbeitnehmer konnten damit ebenfalls gesenkt werden, und es besteht Spielraum für private Vorsorge. Die heutigen Rentner beteiligen sich also an den Kosten der alternden Bevölkerung.

Es steht auf einem anderen Blatt, dass die Bundesregierung dies im Wahlkampf nicht angekündigt hat, sondern das Gegenteil suggerierte. Dieses politische Problem sollte jedoch nicht davon ablenken, dass Riesters Reformpaket sinnvoll ist und langfristig „Gerechtigkeit zwischen den Generationen“ herstellt.

Glaubt man Flassbeck, dann ist eine Neugestaltung des Rentensystems völlig überflüssig. Er setzt auf eine gute Konjunktur; denn Wachstum führt dazu, dass mit dem heutigen, unveränderten Umlageverfahren in dreißig Jahren automatisch weit höhere Renten als jetzt ausgezahlt werden. Doch sind seine Rechnungen in absoluten DM-Beträgen irreführend: Wenn im Jahr 2030 der durchschnittliche Arbeitnehmer statt 4.000 Mark brutto im Monat 7.200 Mark verdienen wird (zu heutigen Preisen), dann würden ihn 25 Prozent Rentenbeiträge mindestens so schmerzen wie heute knapp 20 Prozent. Denn Menschen orientieren sich stark an relativen Größen und nicht nur an absoluten Beträgen. Wenn Heiner Flassbeck Recht hätte, dann könnte man sich jede Rentenreform schenken, weil selbst bei einem Rentenniveau von nur 30 Prozent in 30 Jahren noch real höhere Renten ausgezahlt würden als jetzt. Man könnte auch aufhören, sich – wie Flassbeck am Schluss seines Kommentars – über Armut zu sorgen: Die Sozialhilfe könnte sofort von über 500 Mark auf 350 Mark gekürzt werden, denn damit läge sie noch immer höher als vor etwa 30 Jahren.

Es ist allerdings müßig, sich über die geringen Unterschiede im Rentenniveau zu streiten, die jetzt für das Jahr 2050 (oder 2030) errechnet werden. Das Rentenniveau ist nicht verlässlich vorhersagbar – der Streit um einen Demografie- oder Ausgleichsfaktor in der Rentenformel ist langfristig ohne Belang. Auch der jetzt favorisierte „lineare Abschlag“ wird nicht ewig halten. Gerade deswegen kommt es ja darauf an, dass wir bei der Altersvorsorge nicht alles auf eine Karte setzen. Doch genau dies fordert Flassbeck. Er will weiter allein auf das traditionelle Rentensystem vertrauen und behauptet, dass die Umlageversicherung zur selben Rentenhöhe führen würde wie die private Zusatzvorsorge – nur einfacher und billiger. Dies überzeugt jedoch nicht. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Rendite für private Vorsorge, die auf der Entwicklung der Kapitalrendite beruht, etwas höher sein wird als die Rendite der gesetzlichen Rente. Denn auf dem Globus wird Kapital immer noch für Jahrhunderte knapp sein und deswegen hohe Erträge abwerfen. Die mit der Auslandsanlage verbundenen Gefahren, u. a. das Wechselkursrisiko, sprechen freilich auch dafür, bei der Altersvorsorge keinesfalls nur auf Kapitaldeckung zu setzen. Die Befürworter kapitalgedeckter Vorsorge sollten allerdings zugeben, dass man nicht wissen kann, wie hoch die Kapitalrendite in 20, 30 oder 50 Jahren wirklich sein wird. Eine vom DIW veröffentlichte Analyse für die USA – die im Gegensatz zu Deutschland nicht von zwei Weltkriegen verwüstet wurden – zeigt, dass auch stabile Volkswirtschaften von enormen Renditeschwankungen betroffen sind. In den USA betrug die durchschnittliche Rendite der privaten Rente in den letzten hundert Jahren etwa fünf Prozent – aber wenn man Pech hatte und zu einer Zeit in Rente gehen musste, in der der Kapitalmarkt darniederlag, konnten es auch schon mal nur zwei sein! Diesen Rentnergenerationen nutzte es nichts, dass es Glückspilze gab, die fast acht Prozent Rendite erzielten.

In einem Punkt hat Flassbeck allerdings Recht: Kapital kann schlecht gemanagt werden. Wenn der Bund die kapitalgedeckte Vorsorge puscht, dann muss er für Qualitätskontrollen und für mehr Wettbewerb auf dem Markt der privaten und betrieblichen Altersvorsorge sorgen. Hier sind noch keine Maßnahmen erkennbar, obwohl Kanzler Schröder mehr Wettbewerb auf dem Lebensversicherungsmarkt schon in seiner ersten Regierungserklärung versprach. Auch sollte gesetzlich sichergestellt werden, dass private Rentenversicherer nicht zu viel ihres Kapitals in Staatsanleihen anlegen. Denn diese sind in der Tat nichts anderes als eine teurere Variante der Umlagefinanzierung, wie Flassbeck ausführt.

Fazit: Wenn es uns nicht gelingt, durch Zuwanderung und ein höheres Rentenzugangsalter die „demografische Last“ kleiner werden zu lassen, als sie heute erwartet wird (aber das ist ein anderes Thema), dann kommen bei der Altersvorsorge Lasten auf uns zu, die wir möglichst gerecht verteilen sollten. Zusätzliche Kapitaldeckung ist ein Weg – wenn auch kein Königsweg, sondern ein Pfad, dessen Sicherheit der Staat kontrollieren muss. Und auf diesem Weg brauchen die Bezieher niedriger Einkommen und Familien gezielte Hilfen, deren genaue Ausgestaltung weitere Diskussionen lohnt. Auch eine obligatorische Zusatzvorsorge sollte dann nochmals diskutiert werden. Weiterhin aber nur auf das „Modell Deutschland“, also auf das Umlageverfahren, zu setzen, wäre jedoch fahrlässig.

Hinweise:Würden die absoluten Renten zählen, bräuchten wir keine Reform. Wichtig ist aber die relative HöheDie Regierung muss für mehr Wettbewerb auf dem Markt der privaten Vorsorge sorgen