Däubler-Gmelin hat gelernt

Die rot-grünen Rechtspolitiker haben einen neuen Gesetzentwurf zur Justizreform erarbeitet, der die Kritik von Anwälten und Richtern berücksichtigt

VON CHRISTIAN RATH

Der Kompromiss ist geschafft, die Justizreform steht vor dem Durchbruch. Am Mittwoch soll in Berlin ein neuer Gesetzentwurf vorgelegt werden, auf den sich die rot-grünen Rechtspolitiker jetzt geeinigt haben. Die neue Vorlage greift zahlreiche Kritikpunkte auf, die vor allem von Anwalt- und Richterschaft in den letzten Monaten vorgebracht wurden – ohne allerdings die grundsätzliche Linie zu verlassen. Damit sind die Chancen stark gestiegen, dass Justiministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) das in ihrem Ressort wohl wichtigste Vorhaben dieser Wahlperiode zu einem guten Ende bringen kann.

Erhalten bleibt der Kern der Reformpläne (siehe Kasten): Zivilstreitigkeiten sollen künftig vor allem in erster Instanz, also bei Amts- oder Landgerichten, abschließend entschieden werden. Der Zugang zur Berufung wird nun aber doch weniger eingeschränkt als ursprünglich geplant. Der Vorwurf der Anwaltschaft, hier werde „Justizabbau“ betrieben, ist so kaum noch aufrechtzuerhalten.

Schon beim Anwaltstag vor einem Monat hatte Däubler-Gmelin angedeutet, dass sie sich auf die Kritiker zubewegen werde. Mit dem jetztigen Gesetzentwurf, der der taz in wesentlichen Punkten vorliegt, wurde dieses Versprechen prompt umgesetzt. Gegenüber dem Referentenentwurf vom Dezember hat Rot-Grün vor allem in vier Punkten auf die Kritik der Justizverbände reagiert.

1. Zugang zur Berufung: Der Referentenentwurf sah noch eine „Annahmeberufung“ vor, d. h., beim Oberlandesgericht (OLG) wäre nur dann mündlich verhandelt worden, wenn die Richter in einem schriftlichen Vorverfahren „hinreichende Aussicht auf Erfolg“ festgestellt hätten. Die Anwaltschaft befürchtete, dass sich die OLGs auf diesem Wege allzu leicht die Arbeit vom Leib halten könnten. Im neuen Gesetzentwurf wurde die Annahmeberufung nun aufgegeben und das Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt. Eine Berufung gilt jetzt als zulässig, es sei denn, die zuständige Kammer beschließt „einstimmig“, dass das Vorbringen „keine Aussicht auf Erfolg“ hat.

2. Überprüfung von Tatsachen: Bisher konnte in der Berufung der Rechtsstreit völlig neu aufgerollt werden. Der Dezember-Entwurf wollte die Berufung dagegen auf Rechtsfragen beschränken. Fehler in der Beweisaufnahme, etwa ein fehlerhaftes Gutachten nach einem Verkehrsunfall, hätten dann nicht mehr gerügt werden können. Auch hiervon rückt der neue Entwurf ab. Jetzt sollen auch Tatsachen wieder überprüft werden können -–wenn „aufgrund konkreter Anhaltspunkte ernstliche Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit“ der im erstinstanzlichen Urteil enthaltenen Feststellungen bestehen.

3. Einzelrichter: Von Richterseite war vor allen kritisiert worden, dass in erster und zweiter Instanz der Einsatz von Einzelrichtern die Regel werden sollte. Im neuen Referentenentwurf ist dies abgeschwächt worden. Bei Streitigkeiten in besonders komplizierten Gebieten wie dem Arzt- oder Presserecht soll auch künftig der Einsatz von Einzelrichtern nicht verbindlich vorgeschrieben sein.

4. Revision: Hier hat sich an Däubler-Gmelins Plänen nur wenig geändert. Es wird daran festgehalten, dass der Bundesgerichtshof (BGH) im Zivilrecht künftig nur noch Grundsatzfragen klären soll, während er bisher vor allem Fälle mit hohem Streitwert zu entscheiden hatte. Allerdings betont die Begründung des Gesetzentwurfs nun, dass auch schwerwiegende Rechtsfehler einer Sache „grundsätzliche Bedeutung“ geben können. Damit sollen Befürchtungen ausgeräumt werden, wonach die Einzelfallgerechtigkeit am BGH künftig gar keine Rolle mehr spielen werde.

Der neue Gesetzentwurf wurde in einer Koalitionsarbeitsgruppe erarbeitet, der unter anderem die rechtspolitischen Sprecher von SPD und Grünen, Alfred Hartenbach und Volker Beck, sowie Justizministerin Däubler-Gmelin angehörten. Vor allem die Grünen hatten darauf gedrängt, die von den Justizverbänden am stärksten kritisierten Punkte zu entschärfen. Der endgültige Durchbruch war bereits am Freitag voriger Woche erfolgt, parallel zur Einigung über die eintragenen Partnerschaften.

Der Gesetzentwurf soll am Freitag zunächst als Koalitionsentwurf in den Bundestag eingebracht werden, um das Verfahren zu beschleunigen. Die Bundesregierung wird im Sommer dann einen eigenen (im Wesentlichen identischen) Gesetzentwurf nachschieben. Schon am Freitag soll der Bundestag auch die neuen Pläne zur Justizreform debattieren. Die Union, die sich bisher noch nicht klar positioniert hat, wird damit gehörig unter Zeitdruck gesetzt.