die wirrsten grafiken der welt (17): ein tafelanschrieb
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Als Gotthold Ephraim Lessing das Drama „Emilia Galotti“ schrieb, hat er zwischendurch sicherlich ein paar Skizzen angefertigt, zur besseren Übersicht. Kann doch sein? Wäre doch möglich? Es ist ein Jammer, dass Lessing alles selber machen musste und nicht auf die hier schon einmal erwähnten, von Peter Sinram eingeschickten „Stundenblätter“ für Lehrerinnen und Lehrer zurückgreifen konnte, insbesondere auf den „Tafelanschrieb“ zu den ersten beiden Akten von „Emilia Galotti“. Da werden nämlich auch die vertracktesten Wechselbeziehungen extrem übersichtlich dargestellt: Hettore kehrt sich von Appiani und Odoardo ab, erfährt aber Zuwendung von Claudia und Emilia, während er von Marinelli, Conti und Orsina im eigenen Hof brutal mit Pfeilen beschossen wird. Was hätte Lessing noch alles dichten können, wenn er nicht gezwungen gewesen wäre, die erforderlichen Tafelanschriebe eigenhändig auszuführen! Vielleicht wären stattdessen noch mehr dumpfe Saufgedichte aus Lessings Feder geflossen? Solche wie sein „Trinklied“, das hier zitiert sei: „Voll, voll, voll, / Freunde, macht euch voll! / Wein, Wein, Wein, / Freunde, schenkt ihn ein! / Küsst, küsst, küsst, / Die euch wieder küsst! / Voll von Wein, / Voll von Liebe, / Voll von Wein und Liebe, / Freunde, voll zu sein, / Küsst und schenket ein!“ Grauenhaft. Lessing war der Tony Marschall des 18. Jahrhunderts. Und deshalb ist es wohl doch ganz gut, dass er „Kletts Stundenblätter“ nicht abonniert hatte. GERHARD HENSCHEL