Feldzug beendet, Krieg geht weiter

Die Ernennung des Muftis Achmed Kadyrow zum Regierungschef bringt Tschetschenien keine Stabilität. Selbst die Moskautreuen wollen ihn nicht. Die russische Armee bereitet ihren Abzug vor – die Rebellen verstärken ihren Kampf

aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH

Der russische Feldzug in Tschetschenien ist offiziell erfolgreich beendet – der Krieg geht unterdessen weiter. Herrscht tagsüber die Armee, übernimmt mit hereinbrechender Dunkelheit die Guerilla das Regiment. Schon im ersten Feldzug 1994 bis 1996 kristallisierte sich diese brisante Arbeitsteilung heraus. In den letzten Wochen sind die Freischärler indes noch kühner geworden. Anschläge und Minenexplosionen in von Militärs längst „gesäuberten“ Dörfern gehören zum Alltag.

Die Taktik der Generalität, die Freischärler in den Bergen zu isolieren, ist nicht aufgegangen. Heftige Gefechte in Grosny und der Überfall auf die Ortschaft Serschen-Jurt Ende vergangener Woche, der nach offiziellen russischen Angaben zwanzig Soldaten das Leben kostete, waren keine Einzelfälle. Das Terrain wird für die Armee immer unsicherer.

Das erklärt die Unruhe in der Generalität und die Eile, mit der Einheiten abgezogen werden. Bevor ein neues Desaster ins Haus steht, möchte sie noch die Lorbeeren des Sieges einfahren und die weitere Verantwortung der Politik überlassen. Statt der dem Verteidigungsministerium unterstellten Armee müssten dann die Omon, Einheiten des Innenministeriums, die militärische Sicherung in Tschetschenien übernehmen.

Diese Polizeitruppe ist indes genauso wenig wie die Armee gegen einen Partisanenkrieg gewappnet. Das bereitet der Generalität jedoch keine Sorge, denn beide Truppengattungen sind sich von jeher spinnefeind. Selbst in lebensbedrohlicher Lage leisten sie sich gegenseitig keine Hilfe.

Als im Juni der Kreml den Mufti Achmed Kadyrow zum neuen Republikchef in Tschetschenien ernannte, standen vor allem die Generalität und der Oberkommandierende in der abtrünnigen Kaukasusrepublik, General Troschew, hinter der Initiative. Sie kam Moskau aus zwei Gründen gelegen: Richtung Westen ließ sich demonstrieren, man strebe eine politische Lösung des Konfliktes an und scheue auch nicht davor zurück, mit einem religiösen Führer zu kooperieren. Im Gegenteil, die Wahl einer traditionellen Kraft schien aus Sicht des Kremls dessen ernsthaftes Interesse an einer dauerhaften Lösung eher zu untermauern. Außerdem spekulierte Moskau, vor der religiösen Autorität würde der Einfluss der Clanstrukturen zurücktreten.

Präsident Wladimir Putin pries Kadyrow als einen Mann, der den Krieg beenden und die Nation einigen wolle, weil er sein Volk liebe. Die Tschetschenen sehen das anders. Kadyrow ist eine umstrittene Figur, die in der Bevölkerung keinen Rückhalt genießt. Selbst moskautreue Führer der Tschetschenen weigerten sich zunächst, mit dem Mufti zusammenzuarbeiten. Präsident Aslan Maschadow erklärte Kadyrow vor einem Jahr zum „Volksfeind“, als dieser sich von ihm lossagte, weil er nicht genug gegen die Wahhabiten unternommen habe, militante Islamisten. Das mag stimmen. Allerdings kämpfte auch Kadyrow im ersten Tschetschenienkrieg gegen die Russen und hatte als Rektor des Islamischen Instituts im Nordkaukasus die Parole des djihad, des „Heiligen Krieges“ ausgegeben. Der Ruf eines Konjunkturlers eilt ihm voraus.

Dass er nicht, wie die islamische Tradition vorschreibt, gewählt, sondern von den weltlichen Machthabern Maschadow und zuvor Dschochar Dudajew ernannt wurde, schadete seiner Autorität als Mufti und verstärkte nicht zuletzt Vorbehalte gegenüber seiner Person.

Einfluss übt Kadyrow nur in der Stadt Gudermes aus, wo er mit den Brüdern und Kommandeuren Jamadajew auf engste kooperierte. Die Jamadajews übergaben den Russen kampflos die Stadt und retteten dadurch unzählige Leben. Indes gilt es inzwischen als erwiesen, dass sie zu den Drahtziehern des Menschenhandels zählen, der dem Kaukasusflecken den Ruf der Barbarei eingebracht hat und Moskau als Vorwand diente, in die Republik einzumarschieren.

Innerhalb Tschetscheniens ruht Kadyrows Autorität nur auf den Bajonetten der Armee. Lässt sie ihn fallen, spätestens dann werden die ehemaligen Verbündeten aus den Bergen das von Maschadow verhängte Todesurteil vollstrecken.

Kadyrows Ernennung spiegelt das Dilemma Moskaus wider: das Gemisch aus oberflächlicher Kenntnis der Region, Desinteresse und zynischem Pragmatismus einzelner russischer Interessengruppen. Die Suche nach einer Figur, die die russischen Interessen wahrt und die Tschetschenen nicht weiter entzweit, hat zu nichts geführt.