Urinbomben auf Bullenköpfe

■ Ist politische Kunst im öffentlichen Raum heute noch möglich? Eine Ausstellung im KünstlerHaus am Deich zeigt, dass zumindest die Ideen noch nicht ausgegangen sind

Betrachten wir's mal grob: Links zu sein bedurfte es wenig. Und wer in den 70er Jahren irgendwie links war, war bekanntlich ein König. Von Joseph Beuys' bürgerbewegtem Kunstaktionismus über Anselm Kiefers deutschlandkritischer Malerei der verbrannten Erde bis hin zu Jörg Immendorffs gepinseltem Feldzug gegen den Vietnamkrieg gerierten sich die herausragenden Köpfe einer KünstlerInnengeneration staatskritisch.

Auch in Bremen hinterließ diese Zeit ihre Spuren: kaum eine Hauswand, die verschont blieb vom metergroß sichtbaren Protest gegen Faschismus, Imperialismus und all das Böse dieser Welt. Nicht selten unter lautstarkem Protest der AnwohnerInnen eroberte die engagierte Kunst so die bis dato leeren Plätze mit rostig-sozialkritischen Installationen, prangerte malend und montierend Arbeitslosigkeit und den Niedergang des urbanen Lebens an.

Die Zeiten haben sich geändert. Dank des Kunst-im-öffentlichen-Raum-Programms gibt es inzwischen keine freien Plätze mehr, die der Installation harren. Die malenden RebellInnen von einst steuern, wenn sie nicht schon unter der Erde liegen, nun sündhaft teure Bilder für das Foyer des Berliner Reichstags bei. Und die wenigen Eckchen in der Stadt, die nicht bereits mit Kunstwerken zugestellt sind, füllt zum Beispiel die Bremer Marketing Gesellschaft in Kooperation mit der Kunsthalle mit blaustarken Event-Pferden. Politische Kunst im öffentlichen Raum ist praktisch tot.

Dass dem tatsächlich so ist, bestätigt paradoxerweise eine von Ulrike Kremeier und Dorothee Richter kuratierte Ausstellung, die im KünstlerHaus Bremen zu sehen ist und gerade das Gegenteil beweisen will. Denn dort sind sieben Arbeiten junger KünstlerInnen zu sehen, die unisono ihre Kunst als politisches Projekt begreifen, die ihre Werke unisono für den öffentlichen Raum entworfen haben – und deren Arbeiten unisono nicht über den nun im KünstlerHaus präsentierten Entwurfstatus hinausgekommen sind.

So lehnte es beispielsweise die Jury der Potsdamer Bundesgartenschau 2001 ab, „Free Bornstedter Feld“ des Duos Nils Norman/Florian Zeyfang zu realisieren. Denn im Gegensatz zu den üblichen Bundesgartenschauideen, wo spektakuläre Blumenbeete und rasante Spazierwege den Post-Gartenschau-Alltag versüßen sollen, hegen Norman/Zeyfang subversivere Ideen. Die proletarische Rückaneignung des Gartenschaugeländes Bornstedter Feld ist ihr Begehr. Via großgrundbesitzerfeindlicher Kleingartensiedlung sollte das Areal zum Volksbesitz mutieren. Und gegen die drohende Rückeroberung des Feldes durch die Parkpolizei hilft ein didaktisches Computerspiel, das in bunten Trickfilmchen die Herstellung von Urinbomben und das Graben unstabiler Tunnel gegen Räumfahrzeuge veranschaulicht.

Nicht ganz so praktisch ist Ines Schabers Entwurf für die Berliner U-Bahn-Station Alexanderplatz. Während oben auf dem Platz die StadtplanerInnen den BerlinerInnen in großen Panoramakästen bereits vor Augen führten, wie der noch im Ostberliner Charme vor sich hin gammelnde Alexanderplatz mal aussehen wird, wenn die Großkonzerne dort ihre glänzenden Glasbürotürme beziehen, soll im Untergrund Erinnerungsarbeit geleistet werden. Mit großen Fotos aus dem Stadtteil an den Wänden des runden U-Bahnhofs will Schaber daran erinnern, dass sich hinter den zukünftig glänzenden Fassaden mal eine andere Geschichte verborgen hat. Und zugleich dokumentiert die Fotoserie das Verschwinden eines gewachsenen urbanen Gefüges.

Eine ähnliche Idee verfolgt Erik Göngrichs Projekt für eine Baulü-cke in Berlin-Köpenick. Dort befand sich bis 1952 ein städtisches Theater, das inzwischen nur noch in der Erinnerung der AnwohnerInnen präsent ist und durch eine von Göngrich temporär installierte Bühne wieder als Teil des öffentlichen Lebens von Köpenick in den Blick geraten soll.

Auch Felix Stephan Huber geht es in seiner Computersimulation „Provisional“ um die Bewusstmachung verdrängter Wirklichkeiten. Ein nach eigenen Wünschen möbliertes Zimmer übersetzt das Computerprogramm simultan in eine entsprechend große Flüchtlingsunterkunft. Wo etwa ein Bett und ein Stuhl im Raum ein großzügiges Arrangement bilden, stapeln sich im Paralleluniversum Flüchtlingsheim die Betten der Asylsuchenden – eine wenig erbauliche „Kunst“ im geschlossenen Raum.

zott

Die Ausstellung „side/walks“, wo neben den besprochenen Arbeiten noch Beiträge von Alice Kreischer, Annette Wehrmann und Andreas Siekmann zu sehen sind, wird bis zum 30. Juli im KünstlerHaus Am Deich gezeigt. Infos gibt es unter Tel.: 50 85 98. In den kommenden Wochen werden die dort zu sehenden KünstlerInnen auf der Kulturseite der taz Kunst im öffentlichen Raum machen und mit eigens gefertigten Arbeiten hier zu sehen sein. Den Auftakt macht Annette Wehrmann in den nächsten Tagen.