Eher Flaum als Song

Grant Hart hat einen Autounfall, die Heroinsucht und Hüsker Dü überlebt. Doch der Schatten der Band hängt noch immer über dem Trommler

von THOMAS WINKLER

Manchmal gibt es Momente, in denen die Zeit stehen zu bleiben scheint. So, als wolle sie einem klar machen, wie schnell sie vergehen kann. Für Grant Hart kam ein solcher Moment nach einem Konzert irgendwo außerhalb seiner Heimatstadt Minneapolis. Eine Frau kam auf ihn zu, um ihm zu dem Auftritt zu gratulieren. Dann sagte die namenlose Frau aus der namenlosen Stadt irgendwo in Amerika: „Hüsker Dü muss dir ja viel bedeutet haben, dass du gleich zwei Songs von ihnen spielst.“

„Sie hatte keine Ahnung, dass ich bei Hüsker Dü war, dass ich selbst diese Songs geschrieben habe“, erinnert sich Hart, „das war lustig“. So, wie er es sagt, klingt es weniger amüsiert als resigniert. Wer also Verwendung hat für Grant Hart in seiner Galerie alter Helden, die die Zeit unverdientermaßen verschluckt hat, der sollte Grant Hart aufnehmen. Schließlich schreibt er immer noch mit die schönsten Lieder, die sich zwischen hier und der Sehnsucht finden lassen.

12 Jahre, nachdem sich Hüsker Dü aufgelöst haben, schwebt der Schatten einer der einflussreichsten Rockbands der 80er-Jahre immer noch über ihrem ehemaligen Trommler. Und er ist zu spüren, dieser Schatten, auch auf „Good News for Modern Man“, der Platte, in die Hart die letzten drei seines mittlerweile 39 Jahre währenden Lebens investiert hat. Drei Jahre, in denen er die Songs zu Hause probte und immer dann ins Studio ging, wenn das gerade nicht belegt war. So war das Studio immer ausgelastet und „ich konnte zum ersten Mal in meinem Leben mit einer Platte anfangen und so lange an ihr arbeiten, wie ich wollte, so lange bis der Toningenieur und ich uns anblickten und wussten, jetzt ist der Song fertig“. Auch wenn aus den Texten schlussendlich doch noch die Bitterkeit gewichen ist, die Hart all die Jahre nach dem Hüsker-Dü-Split umtrieb, erinnert dieses Album komischerweise dann doch vor allem an seine erste Solo-Platte „Intolerance“ von 1989, die vor allem eine Abrechnung war mit Bob Mould, der zweiten beherrschenden Figur bei Hüsker Dü.

Damals wie heute hat er jeden Ton selbst gespielt, damals wie heute schwingt er sich in nahezu jedem Song auf ins Hymnenhafte, damals wie heute werden die Stücke von sich im Kreis drehenden Orgel-Riffs beherrscht, damals wie heute scheinen die Melodien zeitlos in ihrer Zerbrechlichkeit. Wieder und wieder arbeitet sich Hart an der Schönheit und vor allem ihrer Flüchtigkeit ab. „You don't have to tell me now / You don't have to spoil the moment“, heißt es in einer dieser luftigen Balladen, die eher Flaum als Song sind, die eine Ahnung von Perfektion vermitteln, gerade weil sie so beständig unfertig wirken. Für Hüsker Dü schrieb Hart noch Songs wie das legendäre „Turn on the News“, einen der kraftvollsten politischen Wutgesänge, die jemals in die Welt geschrien wurden. Wie lange das schon her ist, kann man daran erkennen, dass „Turn on the News“ unlängst in die Rock-’n’-Roll-Hall-of-Fame als einer der besten 500 Songs aller Zeiten aufgenommen wurde. Aber schon damals, und mochte Moulds Gitarre noch so malmen, wühlte sich in den besten seiner Lieder aus all dem Zorn und all dem Lärm eine Melodie, die einem mal den Atem rauben konnte, mal an einer Stelle berührte, von der man nicht einmal wusste, dass sie überhaupt existierte. Wenn Mould Lennon war, gab Hart den McCartney, aber verkniff sich dessen Weinerlichkeit.

Zu den Treppenwitzen der Popgeschichte gehört es, dass an den langsam beginnenden finanziellen Erfolg, der Hüsker Dü in den letzten Jahren ihres Bestehens endlich zuteil wurde, nur der eigentlich sperrigere Mould mit seinem Projekt Sugar anknüpfen konnte. Hart dagegen, der immer die Popmelodien geschrieben hatte, verschwand mit seinen Solo-Platten und denen seiner Band Nova Mob in der Anonymität kleinster Clubs, wo er vor Publikum spielte, das selten mehr als ein paar Hundert zählte.

„Ich glaube zwar, dass ich durchaus Erfolg habe, aber ein wenig mehr Geld zu verdienen, wäre schon nicht schlecht“, sagt Hart. „Aber guck dir Kurt Cobain an: All das Geld konnte die Kugel auch nicht aufhalten.“ So lebt er vor allem von den Tantiemen alter Hüsker-Dü-Platten. „Wenn der Scheck kleiner als üblich ausfällt, dann spiele ich halt ein paar Konzerte mehr.“

Das hätte ihn beinahe umgebracht. Zwischen zwei Auftrittsorten wurde der Bandbus in Bayern von einem Geisterfahrer gerammt. Der katholische Pfarrer, der das entgegenkommende Fahrzeug lenkte, war sofort tot, Grant Harts linker Fuß wurde vom Motor zermalmt, der sich ins Fahrerhaus schob. Seitdem trägt er mehr Stahl als Knochen im Fuß. Wäre es der rechte gewesen, könnte er heute nicht mehr trommeln. Der Unfall war der Höhepunkt einer Reihe von Katastrophen, die mit dem Split von Hüsker Dü begonnen hatte. Geschäftliche Fehlentscheidungen, ungeschickte Äußerungen – und kein Label schien eine Platte von Hart veröffentlichen zu können, ohne Pleite zu gehen. Zusätzlich hatte Hart in den späten 80ern das Heroin entdeckt, als Flucht vor dem wachsenden Druck und Tourstress, der auf dem zunehmend erfolgreicher werdenden Hüsker Dü lastete und den Manager der Band in den Selbstmord getrieben hatte. Es war aber Harts Drogensucht, die von der Öffentlichkeit für den Split verantwortlich gemacht wurde. Jahrelang wechselten er und Mould kein Wort miteinander.

Wenn Hart heute über Hüsker Dü und Bob Mould redet, hört sich das abgeklärt an. „Die Band, in der wir zusammen waren“, sagt er wie angelernt, und dass die ungesunden Zeiten vorbei seien. Heroinabhängig, sagt er, sei er nicht mehr, aber das hat er auch schon früher verlauten lassen, und dann wurde wieder von Rückfallen berichtet. „Aber ich rauche immer noch eine ganze Menge“, erzählt er lächelnd.

Früher schien es, als würde er alles dafür tun, sich möglichst schnell unter die Erde zu bringen. Weniger aus romantischer Todessehnsucht heraus, eher aus Angst vor dem Morgen. „Es gibt nur eine Möglichkeit nicht zu altern“, sagt er heute, ohne das Wörtchen Tod in den Mund zu nehmen. „Aber ich habe vor, noch eine Weile zu leben.“

Grant Hart: „Good News for Modern Man“ (World Service /Zomba)