Ewig brodelnder Vulkan

Wie der Schlag zweier widerstandsfähiger Herzen: Die Choreografie „Fase“ eröffnet das Internationale Sommertheater Festival  ■ Von Marga Wolff

1982 hat die belgische Choreografin Anne Teresa De Keersmaeker das Stück Fase - Four Movements to the Music of Steve Reich zu vier Kompositionen des amerikanischen Minimalisten für sich und die Tänzerin (und mittlerweile selbst Leiterin einer Compagnie) Michèle Anne de Mey kreiert.

Für De Keersmaeker brachte dieses kleine Meisterwerk, das am 11. Juli das Internationale Sommertheater Festival auf Kampnagel eröffnet, den Durchbruch ihrer Karriere. Keine hat wie sie den europäischen zeitgenössischen Tanz in der Generation nach Pina Bausch so revolutioniert. Heute residiert die Leiterin eines eigenen Ausbildungsinstituts, P.A.R.T.S., mit ihrer Compagnie Rosas an der Brüsseler Oper La Monnaie und hat soeben mit der Premiere ihrer jüngsten Produktion In Real Time in Brüssel dazu noch ein eigenes Theater eröffnet.

Die Orientierung an musikalischen Strukturen zieht sich durch ihr gesamtes Werk. Pur und direkt nähert sich Fase dem musikalischen Kompositionsprozess an, dringt durch die Form zur Qualität der Musik vor. Zwei Frauen erforschen auf abgestecktem Raum die Wiederholung eines minimalen Vokabulars in winzigen Abdriftungen.

Präzise wie der Lauf zweier Uhrwerke, hartnäckig wie der Schlag widerstandsfähiger Herzen, konzentriert, schonungslos, bis an den Rand der Erschöpfung. „Man kann sich nicht verstecken. Wenn etwas schief geht, dann geht es schief“, sagt die Choreografin. De Keersmaeker und ihre Partnerin De Mey, beide mittlerweile 40 Jahre alt, tanzen das Stück mit unverminderter Energie. „Einerseits ist es eine Rückschau, anderseits nicht. Schließlich tanzen wir das Stück heute.“ Sentimentalitäten sind der verschlossenen Querdenkerin De Keersmaeker ohnehin fremd. Allerdings ist die Wahrnehmung von Zeit hier ein wesentliches Moment, wie sie betont.

Die Konstruktion wirkt zuweilen wie ein Korsett. Doch wehrt sich De Keersmaeker gegen den „System-Freak“, als der sie manchmal bezeichnet wird. „Die Struktur“, erklärt sie, „interessiert mich in so fern, als sie die Emotionen hervorbringt.“

Die Reibung im Kampf mit der Form, die verhaltene Strenge, die stets den Vulkan darunter spürbar werden lässt, ist bis heute kennzeichnend für Rosas. Unvergesslich bleibt der Auftritt der Compagnie 1993 auf Kampnagel mit „Rosas danst Rosas“ von 1983, ein weiteres Signaturstück für genau diese Tanzsprache. Die 80er waren für De Keersmaeker die Zeit ihrer autarken Frauenstücke. Später erst, in Achterland von 1990, dann in dem widerspenstig, zart erotischen Stück „Mozart/Konzert-Arien“ wurden die Männer dazu gebeten. Fase, angeregt durch den überwältigenden Eindruck, den die Stadt New York auf die damals 20-jährige Choreografin machte, rührt in Männerhosen und Hemdsärmeln im Wechsel mit mädchenhaften Kleidern auch an die maskuline Seite einer Frau.

Reich komponierte die vier Musikstücke „Piano Phase“, „Violin Phase“, das Vokalstück „Come Out“ und „Clapping Music“ als Reaktion auf die Unruhen in Harlem von 1964. „Das merkt man der Choreografie doch an!“, entgegenet De Keersmaeker energisch auf die Frage, ob gesellschaftliche Ereignisse bedeutend für ihre Arbeit seien.

Die Vorbilder, die man ihr aus jener Zeit immer wieder angetragen hat, etwa die Bewegungsminima-listin Lucinda Childs, lehnt De Keersmaeker ab. Beeinflusst, sagt sie, sei sie damals von jemandem gewesen, der gar nichts mit der amerikanischen Avantgarde zu tun hatte, nämlich von Rainer Werner Fassbinder. Jahre später, in Brüssel, lernte sie die Arbeit der amerikanischen Choreografin Tricia Brown kennen. Eine Offenbahrung, wie De Keersmaeker gesteht.

Seit zwei Jahren widmet sie sich nun der Verknüpfung von Bewegung und Sprache. Quartett nach Heiner Müller, das kürzlich auf Kampnagel gastierte, war das erste Ergebnis der Kooperation von Rosas und dem Schauspielerkollektiv tg Stan, dem die jüngere Schwester der Choreografin, Jolente De Keersmaeker, angehört.

Ihr neuestes Gemeinschaftswerk, „In Real Time“, wird im September die Spielzeit auf Kampnagel eröffnen. Eine spannende Gelegenheit also für das Hamburger Publikum den Bogen von 18 Jahren Rosas, und damit von einem Ausschnitt zeitgenössischer Tanzgeschichte, zu spannen und fest zu stellen, dass Fase nichts an Radikalität eingebüßt hat.

„Fase - Four Movements to the Music of Steve Reich“, Dienstag, 20 Uhr, Kampnagel, k6