Songs mit Hintern und Hüften

■ Beim Festival „women in (e)motion“ hat Sandy Dillon begeistgert. Jetzt kommt sie wieder

Leichenblass geschminkt, mit geschlossenen Augen in einem schwarzweißen Wald ist Sandy Dillon auf dem Cover ihres Albums „Electric Chair“ zu sehen. Brüchig, verschroben und bizarr klingt ihre Musik, die scheinbar zwanghaft Assoziationen zu Captain Beef-heart, von dem sie manchmal einen Song im Programm hat, zu Tom Waits und manchmal sogar PJ Harvey hervorruft. Manche Menschen können nicht glauben, dass so etwas Spaß macht. Sandy Dillon, die im Gespräch einen äußerst herzlichen Humor offenbart, kann sie eines Besseren belehren.

„Wir hatten so viel Spaß, als wir ,Electric Chair' aufnahmen. Manche Leute schrieben, das Album sei sehr artifiziell und prätentiös. Darüber haben wir uns kaputtgelacht, weil wir so nie darüber gedacht haben. Wir spielen einfach so. Das meiste wurde beim ersten Durchgang aufgenommen. Ich bin keine professionelle Sängerin, die mit jedem Mal besser wird. Ich werde definitiv schlechter (lacht).

Wenn ich etwas nicht beim ersten oder zweiten Mal schaffe, soll es nicht sein. Entweder etwas stimmt nicht mit meinem Text, oder ich sollte es an einem anderen Tag versuchen und besser in den Pub gehen. Mein Körper sagt mir: Tu das nicht! Aufnahmen sollten natürlich sein, und ich denke, dass das der Fehler bei vielen modernen Platten ist. Kennst du homogenisierte Milch? Die gibt es überall in Europa und sie ist überall genau gleich. Absolut geschmacklos. So ist auch die Musik. Wenn du alte Autos siehst, die haben Ärsche, Hüften – Körper. Heute sehen alle Autos gleich aus, und sie werden immer kleiner. Als ich jung war, konnte man in Autos Sex haben. Versuch das jetzt mal!“

Du hast vor „Electric Chair“ bereits zwei Alben aufgenommen ...

„Die sind aus vertraglichen Gründen nie erschienen. Das zweite, das ich mit Mick Ronson aufgenommen habe, wird vielleicht erscheinen. Das erste wohl eher nicht. Es war keine sehr gute Platte. Die Songs waren nicht schlecht, aber der Sound – zu viele Synthesizer und elektronisches Schlagzeug. Das war damals, 1983 in New York, eben Mode. Das große Ding war Afrika Bambaata und die Sugarhill Gang.

Ich war jung, beeindruckt und spielte das Spiel mit. Ich hatte ein großes Management, einen großen Plattenvertrag, und mir ging es absolut mies. Jetzt stehe ich auf, mache mir Kaffee, steig in die Pantoffeln und stell' das Mischpult an. Niemand sagt mir, was ich mit meinem Haar machen soll und was ich anzuziehen habe.

Ich kümmere mich nicht darum, ob ich Ringe unter den Augen habe. Ich geb einen Scheiß darauf, fuck off, weißt du (lacht)! Damals war es eine große Sache, alles zu verlieren. Ich hatte vorher eine Menge regelmäßiger Gigs als Pianistin in New York, und als ich bei ,Elektra' war, verlor ich diese Kontakte. Du wirst einfach ersetzt. Als ich in die Bars zurückging, war es hart. Jetzt bin ich 39 und kann sagen: Das sind eine Menge Erfahrungen für meine Songs. Vielleicht musste es so sein.

Ich fühle mich nicht schlecht deswegen. Und es ist mir auch nicht peinlich, wenn die Platten herauskommen sollten. Es ist mir egal. Ich will Geld mit der Musik verdienen, die ich jetzt mache und die niemand kontrolliert.“

Sandy Dillon tut also, was sie tut, und sie macht es eben so, wie sie es für richtig hält, egal, ob andere Leute das verstehen. Egal, ob andere Leute es mögen, wenn dabei dieser wunderschöne, kaputte Blues entsteht. Auch wenn das Ergebnis nicht mit Sicherheit zu planen ist.

„Es ist, als würdest du beim Sex alle fünf Minuten in ein Buch schauen, um zu sehen, wie du weiter vorgehst. Das macht keinen Sinn. Ich mache ,unsafe music'.“

Andreas Schnell

Foto: Nikolai Wolff

Sandy Dillon spielt am Samstag am 20 Uhr auf der Weltbühne