Der Marrakesch-Tuva-Express

■ Mit Ausnahme Australiens kommt sozusagen die ganze Welt nach Bremen: Im Weltmusik-Zelt blasen Japaner, rocken Mongolen, meditieren Marokkaner und serviert ein Local hero viel Musik

Viele Jahre lang waren die Blues-festivals die musikalischen Höhepunkte der Breminale, aber inzwischen haben die von Radio Bremen organisierten und zum Teil von der Bremer Sparkasse mitfinanzierten Konzertabende deren Platz eingenommen. Dort traten Taj Mahal, David Lindley und Eddie Palminteri auf, und dort konnte man obs-kure Bands und Musikstile aus fast allen möglichen Ländern live erleben. Der ganz große Name fehlt in diesem Jahr, aber dafür ist die Musikpalette diesmal so weit gefächtert und international wie vorher noch nie. Bis auf Australien sind alle Erdteile vertreten, und die Stile gehen vom Blues über Trance-Songs und japanische Straßenmusik bis hin zu Punk aus Zentralasien und einem live produzierten Hörspiel mit „fürchterlich viel Musik“.

Am Freitag fängt der Spaß im Weltbühne-Zelt schon genau um 19.05 Uhr an, weil der Abend live auf Radio Bremen 2 übertragen wird. Dabei ist fraglich, ob sich die Gruppe Cicala Mvta um den japanischen Multiinstrumentalisten Wataru Okhuma (Klarinette, Saxophon, Vibraphon und Akkordeon) auf der Bühne und um die Mikrophone herum halten lassen wird, denn diese Blaskapelle hat eine sehr wilde Art von japanischer Straßenmusik wiederbelebt. Diese Chindon-Musik zeichnet sich durch ihre sehr lebensfrohe Präsentation und ihren Eklektizismus aus. So spielt die Band etwa Kompositionen von Paul Dessau, Gassenhauer des Kabuki-Theaters oder nepalesische Hochzeitstänze – alles mit dem gleichen Gusto und Witz.

Die Chindon-Bands waren die traditionellen Werbeträger in den Straßen von Japan und entsprechend laut, bunt und unterhaltsam ist auch ihr Programm. Gleich in der gleichen Stimmung geht es weiter mit dem Musikperformance-Künstler, Komponisten und Instrumentenbauer Stephan Froleyks, der in seinem Soloprogramm „Neue Musik für Messertisch, Stahlklinger und geschweifte Tuba“ vorführen wird, eine Mischung aus Gaukelei und zeitgenössischer Musik, die auf Instrumenten gespielt wird, die (nach Meinung des Kritikers der Faz) „getrost als Fabelwesen bezeichnet werden dürfen“.

Ähnlich verwegen und abseitig wird wohl auch der Local hero Mark Scheibe sein Hörspiel „Die Feinen Herren in Prag“ auf offener Bühne einspielen. Diese live gesprochenen, gespielten und mit Geräuschen versehenen Hörspiele waren in den letzten Jahren faszinierende Höhepunkte der Radio-Bremen Abende, denn hier bot sich die Gelegenheit, ein wenig hinter die Kulissen des Radiomachens zu blicken. Auf der Kulturseite steht ein Interview mit Mark Scheibe über seinen Roman, auf dem das Hörspiel basiert.

Aus Tuva, im Norden der Mongolei kommt mit Yat-Kha eine Band, die Rock mit ihrer traditionellen Musik inklusive der tiefen Kehlgesänge ihrer Region verbindet. Die allzu plakative Bezeichnung „Yenissei Punk“ entstammt wohl nur der Hilflosigkeit westlicher Musikkritiker, solche Phänomene genauer zu beschreiben. Der irische Popbarde Jack Lukeman beschließt diesen Abend auf einer vergleichsweise konventionelleren Note. Der 26-jährige Sänger gilt als neue Hoffnung der irischen Popszene, und seine Stimme wird als Mischung aus Scott Walker, Frank Sinatra, Jim Morrison und Tom Waits beschrieben

Der Samstagabend beginnt um 20 Uhr mit der US-amerkanischen Blues-Sängerin Sandy Dillon, die beim diesjährigen „women in (e)motion“- Festival so begeisterte, dass sie kurzerhand gleich für die Breminale noch mal eingeladen wurde (siehe Interview auf Seite 26). Die Gruppe Nass Marrakech aus Marokko beschließt diesen Abend mit mythisch-mystischen Tänzen, denn die Tradition ihrer Musik reicht tief in die ekstatischen Riten ihrer Religion hinein.

Die Vorfahren der Musiker kommen aus Gebieten jenseits der Sahara, nach Jahrhunderten der Vertreibung und Sklaverei haben sie sich nun in Marrokko angesiedelt, wo sie ihre tranceartigen Zeremonien heute noch so wie vor Jahrhunderten ausüben.

Die Gruppe Nass Marrakech hat diese Musik allerdings mit etwas Jazzrock und Ethno-Pop-Elementen etwas verträglicher für die Weltmusik-Gemeinde angerührt, so dass am Samstagabend neben den scheppernden Kastagnetten Karbaka, dem Bassinstrument sentir und den unisono skandierten Chor-Ausbrüchen wohl auch solche Allerweltsinstrumente wie Gitarre, Bass und Schlagzeug zu hören sein werden.

Wilfried Hippen/F.: N. Wollf