Wie Clubkultur und neue Ökonomie auf einer berühmten Straße ein Fest feiern

Jugend kommuniziert

Je näher in Berlin das Sommerloch rückt, umso größer wird die Anzahl der Umzüge und Großevents in der Stadt: Karneval der Kulturen, Jesus-Marsch, Christopher Street Day, Blade Night, Love Parade, 48 Stunden Neukölln. Auch Straßenfeste gibt es von Jahr zu Jahr mehr. Wer beispielsweise rund um den Hermannplatz wohnt, an der Grenze zwischen den Bezirken Kreuzberg und Neukölln, kann im Zweiwochenrhythmus feiern: Auf dem Kottbusser Damm, im Graefekiez, auf der Karl-Marx-Straße, in der Körtestraße und zum Saisonabschluss auf der „singenden, klingenden Sonnenallee“.

Die Straßenfeste gehören den Berlinern allein. Sie dienen der Orientierung und stärken den Zusammenhalt, mit ihnen versichert sich der Kiezbewohner seiner Identität. Und hier zeigen die Gewerbetreibenden Präsenz; hier wollen sie beweisen, wie gut der Laden läuft, wie gut Straße und Bezirk florieren, und dass das Image doch besser ist als der Ruf.

Auch eine Art Straßenfest gab es letzte Woche auf der Karl-Marx-Allee. Unter dem Titel „Marx Attrax – Culture goes Karl-Marx-Allee“ organisierte eine „Agentur für junge Kommunikation“ im Auftrag des Fördervereins Karl-Marx-Allee ein viertägiges Programm auf dem einstigen sozialistischen Vorzeigeboulevard mit seinen stalinistisch-neoklassizistischen Wohnpalästen.

Ziel der Übung: aus der zu DDR-Zeiten toten und auch danach wie ein großer Fremdkörper zwischen den Bezirken Mitte und Friedrichshain liegenden Straße einen lebendigen Boulevard machen, „der Allee eine neue Urbanität verleihen und eine junge und innovative Klientel ermuntern, sich auf der Allee zu etablieren“ (Fördervereinsvorsitzender Jochen Wawersik). Mit der alten Klientel ist es tatsächlich nicht weit her: Viele Ladenräume stehen leer, selbst Billiganbieter wie Sconti, Netto oder McPaper haben keine Chance. Viel los ist tagsüber nur auf der sechsspurigen Autorennbahn. Auf den breiten, baumbestandenen Fußwegen aber verlieren sich die zumeist älteren Anwohner auf der Suche nach Einkaufsmöglichkeiten. Die Karl-Marx-Allee ist vor allem: eine Wohnstraße.

Also glauben Agentur und Förderverein an die heilende Kraft der „New Economy“, die der Agenturchef hier euphemistisch auf die „Old Economy“ treffen sieht, und zwar in Form einer Start-up-Praktikanten-WG: Acht Berufseinsteiger aus Jena, Düsseldorf und anderswo dürfen kostenlos in einem Haus der Karl-Marx-Allee wohnen und bei Internet-Firmen arbeiten. Auch irgendwie New Economy und beteiligt: Eine Casting-Firma, ein südafrikanisches Fitnessunternehmen, ein Kickboard-Verleih.

Den Großteil des Programms aber bestreitet die einschlägige Clubszene: damit die Szeneviertel Friedrichshain und Mitte zusammenwachsen. Und weil die Clubszene schon seit einigen Jahren statt in Kellern lieber in Raumleichen der DDR feiert. Marx-Attrax ist so vor allem ein Spektakel mehr für die, die sich sowieso jede Nacht sehen. Da wandert man aus der benachbarten Simon-Dach-Straße einfach mal rüber in die „skurrilen locations“ (Agentur), da werden in einstigen Ladenräumen Fotos angeguckt, Clubsounds gehört, Lesungen verfolgt, Bier und Cocktails getrunken und gegessen: Auf einem „Kochbattle“ (!) zeigt sich die Kreativität der Szene auf ihrem Höhepunkt. Tilo Schierz, Bassist der Berliner Band Surrogat, bringt das Treiben Sonntagnacht auf den Punkt: „Innerhalb von dreißig Sekunden fünf bekannte Gesichter sehen.“

Man ist unter sich, freut sich, mal woanders zu sein, ist aber vorsichtig hinsichtlich zukünftiger Planungen: Das Nomadentum gehört zum Clubleben der Neunziger und Nuller dazu. Warum sich festlegen? Es würde ja reichen, nächstes Jahr wieder hier zu sein. Und so klappt es auch nicht recht mit dem Zusammenspiel von neuer und alter Ökonomie, von junger (?) und alter (?) Kommunikation.

Die Anwohner nämlich, eigentlich die Zielgruppe der Allee-„Urbanisierung“, bleiben lieber daheim. Oder sie gehen ins Blockhaus oder Maredo – Steakrestaurants scheinen zu gehen. Oder in den Biergarten „Die grünste und sonnigste Insel Berlins“. Dort gibt es den Liter Löwenbräu für 9,30 Mark und Steak im Brot, dort sitzen jüngere Leute und ältere Pärchen unberührt vom Clubtreiben ein paar Häuser weiter. Sie schwatzen laut oder schweigen sich an und hören den Klängen zu, die ein Musiker mit Mütze und langem blonden Pferdeschwanz seinem Keyboard entlockt. Als er fertig ist, legt er ein Band ein und Modern Talking singen „You can win if you want“.

GERRIT BARTELS