Schüssel tanzt nach Haiders Pfeife

Die für den Herbst geplante Volksbefragung in Österreich stößt innerhalb der Europäischen Union auf Kritik. De facto ist sie ein Ultimatum an die EU. Bundeskanzler Schüssel muss nächste Woche in Brüssel der Kommission Rede und Antwort stehen

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Der Boykott von vierzehn EU-Staaten gegen das fünfzehnte Mitglied – Österreich – könnte EU-Geschichte schreiben. Rund um das Thema Sanktionen scheint zum ersten Mal eine gesamteuropäische Debatte in Gang zu kommen. Die Ankündigung des österreichischen Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel, im Herbst die Bevölkerung über das zukünftige Verhältnis seines Landes zur EU abstimmen zu lassen, lieferte den europäischen Leitartiklern neue Munition.

Als „politische Rakete aus den Alpen“, die die ehrgeizigen Pläne des französischen Staatschefs Jacques Chirac für die Zeit seiner EU-Präsidentschaft zerstören könnte, bezeichnete die römische Zeitung Messagero das österreichische Vorhaben. Für den liberalen Wiener Standard macht Schüssels Ankündigung deutlich, wer wirklich in Österreich regiert. Schließlich habe die konservative ÖVP die Volksbefragung ursprünglich abgelehnt. Der frühere FPÖ-Chef Jörg Haider aber, der sich offiziell aus der Bundespolitik zurückgezogen hat, habe sich am Ende auf ganzer Linie durchgesetzt.

Ähnlich die Reaktionen im Europaparlament, das in Straßburg zur letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause zusammenkam. Die Sprecherin der französischen Gruppe in der Sozialistischen Partei, Pervenche Berès, sagte, dieser populistische Plan zeige, dass Schüssel nach Haiders Pfeife tanzen müsse. Patrick Cox, der Chef der Liberalen, formulierte in englischem Understatement: „Das ist ein sicherer Weg, sich keine Freunde zu machen. Ich fürchte, dass dadurch die Temperatur zwischen Österreich und der EU steigen wird.“

Sogar der Chef der deutschen Gruppe in der Konservativen Partei, Hartmut Nassauer, der die EU-Sanktionen gegen Österreich bislang scharf verurteilt hatte, kommentierte Schüssels Ankündigung zurückhaltend. Er habe zwar Verständnis für die österreichische Reaktion. Die Maßnahme werde aber sicher nicht deeskalierend wirken. Deshalb würde er es begrüßen, wenn die Volksbefragung nicht stattfinden müsste. Nassauer glaubt, dass diese Verschärfung hätte vermieden werden können, wenn die EU zusätzlich zur geplanten Beobachtergruppe einen Zeitpunkt für das Ende der Sanktionen genannt hätte.

Unterdessen erläuterte die österreichische Nachrichtenagentur APA, wie der Bericht des von der EU beauftragten Weisenrates und der Termin der Volksbefragung zeitlich verknüpft werden sollen: Sollte der Bericht zum französischen Zwischengipfel am 13. Oktober in Biarriz nicht vorliegen, werde das Referendum am 29. Oktober stattfinden. Arbeiten die Weisen flott, hat die Abstimmung mehr Zeit, bis zum 26. November. Logik à la Österreich, die Kanzler Schüssel wird erklären müssen, wenn er nächste Woche die Kommission in Brüssel besucht.

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