zwischen den rillen
: Allein für alle: Richard Ashcroft und Badly Drawn Boy

Streicher in der Songwriter-Schule

Als MTV und Viva vor einigen Monaten mit der Dauerrotation des Videos von Richard Ashcrofts „Song For The Lovers“ begannen, hatte man als treuer Fernsehzuschauer ein schönes Déjà-vu-Erlebnis. Der Mann, der da sang, war einem nur allzu gut bekannt, die Art von Video noch besser; ohne Ende Streicher und eine Liedzeile wie „I can’t stop looking back“ ließen die Bilder erst recht ineinander übergehen.

Da sitzt Ashcroft also halb bekleidet in seiner düsteren Wohnung auf einem Sofa, isst und guckt Musikfernsehen. Er ist allein, wahrscheinlich gerade verlassen worden, und er horcht auf jedes Geräusch: Geht die Tür etwa auf, kommt sie doch wieder zurück? Aber es tut sich nichts – auch nicht, als er den Fernseher ausschaltet und pinkeln geht. Stille auf MTV/Viva, Stille bei Ashcroft in der Wohnung, das Geräusch des Urinstrahls auf der Kloschüssel, bloß keine vertraute Person. Irgendwann spielt dann nur noch die Musik weiter und weiter: Ein Superstar, allein und doch nicht allein, weil durch seine Musik jederzeit verfügbar und sehr nahe für uns alle da draußen.

„Alone With Everybody“ hat Richard Ashcroft das Album zur Single genannt, und damit genau wie mit dem „A Song For The Lovers“-Video auf die entscheidenden fünf Minuten in seinem Pop-Leben verwiesen: Als er nämlich eine belebte Londoner Straße entlanggeht – oft angerempelt, aber unbeirrt, in sicherem Abstand verfolgt von seinen The-Verve-Bandkumpels – und seine „Bittersweet Symphony“ singt.

Das hatte man zwar schon mal in einem Video von Massive Attack gesehen (Sarah Nelson in „Unfinished Sympathy“), und außerdem wurde auch schnell publik, dass ein paar Takte aus „Bittersweet Symphony“ bei den Stones geklaut waren. Doch beides tat der weltumspannenden Sympathie für das Video, den Song und das nachfolgende Album „Urban Hymns“ keinen Abbruch: Richard Ashcroft und The Verve wurden berühmt – so berühmt, dass ihnen nicht mal der Stallgeruch des seinerzeit allgegenwärtigen Britpop anhaftete. Oasis und The Verve spielten in anderen Ligen.

Bestätigten Ashcroft und The Verve damals mit „Urban Hymns“ einmal mehr – es gab sie mit Unterbrechungen schon seit Anfang der Neunziger –, dass sie nicht nur ein One-Hit-Wonder waren, ließ man sich da von dem auf Album tonnenweise ausgekübelten Pathos gerne einseifen, so ist Ashcrofts erstes Soloalbum eher eine Produktenttäuschung. Die Songs, ihre melancholische Grundstimmung, ihre aufwendige Produktion, die tausendundein Strings des London Session Orchestra – all das wirkt aufgesetzt, großspurig, seelenlos und reicht nie an die tatsächlich entzückende Single heran.

Manchmal entsteht dann gar der Verdacht, als wolle Ashcroft verschleiern, dass seine Songs nicht viel hergeben – dass sie eindimensional sind, ja dass er sie möglicherweise allein mit und auf einer Akustikgitarre nicht spielen könnte. Allein mit allen, allein mit sich an alle da draußen denken zu müssen und den nächsten Jahrhundertsong (na gut, Song des Jahres) schreiben zu wollen – das haut halt nicht jedes Mal auf Albumlänge hin.

Vielleicht sollte Ashcroft sich ein Beispiel am Badly Drawn Boy alias Damon Gough nehmen. Den Musiker aus Manchester kennt zwar, glaubt man der britischen Musik- und Lifestylepresse, nach ein paar Singles und EPs auch schon ganz England und das angeschlossene A & R-Land. Das macht dem aber nichts aus. Denn mit seinem Debütalbum „The Hour Of Bewilderbeast“ hat er keine Singlesammlung eingespielt, sondern ein Album, das beim Hören den Eindruck erweckt, als wüsste da jemand gar nicht mehr, wohin mit all seiner Kreativität.

„Alles reinwerfe“ an Tönen, Samples und Melodien und sich gut auskennen in der Musikgeschichte – der Badly Drawn Boy scheint seinen Dragoslav Stepanovic genauso gut studiert zu haben wie seinen Beck, ohne dabei Ahnungslosigkeit und Alleswissen miteinander zu verwechseln. Achtzehn Songs, die keinen Gimmick aus dem Heimstudio auslassen und trotzdem ernsthafte Singer/Songwriter-Schule sind; Songs, die daran erinnern, was es für schöne Musik von den Beatles über die TV Personalities und Chrysanthemus bis zu den Smiths auf den Britischen Inseln gegeben hat und scheinbar immer wieder aufs Neue geben wird: Der Sommer ist so kurz, die nächste Depression kommt bestimmt, die nächste Manie auch. Weswegen der Badly Drawn Boy nur „ein wenig Sonnenschein“ in unser aller Leben bringen möchte. Und wenn das funktioniert, weiß er in dem Albumopener „The Shining“, „we’re in love with everything“.

GERRIT BARTELS

Richard Ashcroft: „Alone With Everybody“ (Hut/Virgin) Badly Drawn Boy: „The Hour Of Bewilderbeast“ (Twisted Nerve/XL)