Der Dissident

Nathan Scharansky ist der Führer der russischen Immigranten in Israel.Sein angedrohter Rücktritt gefährdet die Regierung von Ehud Barak

Sein Markenzeichen ist die grüne Sportmütze, die er auch in der Knesset nur selten vom Kopf nimmt. Nathan (Anatoly) Scharansky bleibt sich selbst treu: ein Komsomolze, der sich im Anzug nicht wohlfühlen würde. Doch politisch ist er deshalb nicht unbedingt links. Eher konservativ – aber auch das nicht nur. „Von dem Moment an, als ich in Israel gelandet bin, spürte ich diesen Druck, jeden in eine Schublade zu packen: links oder recht, religiös oder weltlich, Israeli oder Russe.“ Scharansky hasst es, sich selbst einordnen zu müssen, und lässt es auch kaum zu. Sympathie genießt er auf beiden Seiten, aber auch Kritik kommt nicht nur aus einer Richtung.

„Ich faste am Jahrestag vom Tod Jitzhak Rabins, genauso wie ich an Jom Kippur faste“, sagt er, denn der Mord sei eine „Supertragödie“ gewesen. Seine politische Karriere begann er dennoch in der rechten Regierung von Benjamin Netanjahu, der er sich 1996 als Minister für Industrie und Handel anschloss. Auch in dieser Position gelang es ihm, Freunde auf ganz unterschiedlichen Seiten zu gewinnen. Die Amerikaner liebten den ehemaligen russischen Dissidenten, weil er neun Jahre lang für seine Überzeugung hinter russischen Gittern saß. Die Russen wiederum betrachteten den Neu-Israeli als jemanden von ihnen – schließlich verstanden sie ihn so gut wie er sie.

Und in der Tat spricht Scharansky bis heute Russisch. Obwohl er schon vor 14 Jahren an der Glienicker Brücke in Berlin ausgetauscht wurde, um nach Israel auszureisen, ist sein Hebräisch noch immer mehr als lückenhaft. Doch die mangelnden Sprachkenntnisse stören wenig, denn seine Anhänger sind ausnahmslos Immigranten. Der Erfolg seiner Partei ist dem seit zehn Jahren andauernden Kulturstreit zwischen den „Alten und den Neuen“ im Land zu verdanken.

Seinen Wählern scheint es genauso wenig um rechts oder links, um weltlich oder religiös zu gehen wie dem Parteichef. Und so war es gerade Scharansky, der immer wieder die Gründung einer breiten Koalition forderte. Über die anstehenden Kompromisse in der Palästina-Politik dürfe, so Scharansky, nicht mit einer dünnen Mehrheit entschieden werden. Wenn die Opposition, der Likud, miteinbezogen würde, würde auch er wieder in die Regierung von Ehud Barak eintreten. Dennoch beurteilte er dessen Friedenspolitik stets skeptisch. „Auf der ganzen Welt sind die Juden die besten Schacherer“, sagt er, „nur hier verhandeln wir so, als gäbe es von vornherein keinen anderen Weg, als den niedrigsten Preis zu bekommen.“ SUSANNE KNAUL