Hannah Arendt: Banalität des Bösen

Die amerikanische Philosophin und Politikwissenschaftlerin Hannah Arendt, aus Deutschland emigriert und an der Universität Chicago tätig, nahm auf Einladung einer amerikanischen Zeitschrift als Prozessbeobachterin am Eichmann-Prozess in Jerusalem teil. Ihr „Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen“ löste eine weltweite, überaus heftige Kontroverse aus.

Von zahlreichen jüdischen Intellektuellen wurde Hannah Arendt vorgeworfen, mit zweierlei Maß zu messen. Sie habe für Eichmann jedes Verständnis mobilisiert, während ihre kritische Haltung zum Zionismus und zum Staat Israel sie dahin gebracht habe, deren Vertreter Mitverantwortung für den Holocaust anzulasten.

In der Korrespondenz Hannah Arendts mit dem mit ihr befreundeten Philosophen Karl Jaspers wird deutlich, welches Ausmaß an Konsequenz und Zivilcourage sie angesichts der zum Teil verleumderischen Angriffe zeigte. Die Korrespondenz zeigt allerdings auch, wie stark sie einer Reihe von Stereotypen (deutsch-jüdischer Geist versus ostjüdische Demagogie) beim Urteil über Israel unterlag.

Arendt hatte in ihrem Bericht Eichmann nicht als überlegenen, planerischen Geist der Vernichtung, sondern als subalternen Beamten gesehen, dessen Triebkraft nicht pathologischer Antisemitismus, sondern knechtische Pflichterfüllung gewesen sei. Der „exterminatorische“ Antisemitismus resultierte für sie gerade nicht aus einer Verlängerung des traditionellen Judenhasses, sondern war ein Produkt der Moderne, eines Totalitarismus, aus dem jeder Rückbezug auf humane Werte entschwunden war. Deshalb sah sie auch nicht die Einmaligkeit des Naziverbrechens, sondern die Gefahr seiner Wiederholung.

Hannah Arendt pointierte zum Zweiten die Auffassung, dass ohne die bürokratische Mitwirkung jüdischer Instanzen der Massenmord an den Juden in Europa nicht hätte verwirklicht werden können. Bei dieser Beurteilung unterliefen der Autorin eine Reihe von Irrtümern. Sie unterstellte beispielsweise die Existenz eines Führerbefehls zur Ermordung der Juden. Dennoch nahm sie eine Reihe von Forschungsergebnissen der nächsten Jahrzehnte vorweg, vor allem die Einsicht, dass der Mord an den Juden nicht das Ergebnis einer quasi uhrwerksartig ablaufenden Strategie gewesen war. Hans Mommsen hat in einem instruktiven Essay zur Neuauflage des Werkes 1986 dessen fortwirkende Bedeutung untersucht.

Bibliografische Hinweise: Hannah Arendt: „Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen“. Piper Verlag, München 1986, Taschenbuch. Wer detaillierte Einblicke in die durch ihr Buch ausgelöste Debatte haben möchte, muss sich in öffentliche Bibliotheken oder Antiquaritate bemühen: Nicht mehr verlegt wird „Die Kontroverse Hannah Arendt, Eichmann und die Juden“, herausgegeben 1964 von Friedrich Krummacher (Nymphenburger Verlagshandlung).

Hans Safrian untersuchte die Rolle des Eichmann-Referats und der „Eichmann-Männer“ im Reichssicherheitshauptamt. Anhand von Dokumenten aus in- und ausländischen Archiven folgte der Autor den „Vertreibungsspezialisten“ von Wien über Berlin bis hin nach Bratislava und Budapest. Ihm gelang eine genaue Analyse der Durchsetzung des Genozidprogramms. Die aktuelle Auflage erschien 1995 im Fischer Verlag als Taschenbuch.

Eichmanns in Haft verfasste Memoiren „Götzen“ können unter diesem Suchbegriff von der jüdischen Website www.hagalil.com heruntergeladen werden. Es handelt sich um ein Werk, jetzt einsehbar auf einer Microsoft-Word-Datei, das jahrelang vergessen im israelischen Staatsarchiv lagerte. C.S./M.R.