groß in malaysia
: Clubbing in Kuala Lumpur: Zwischen Islamisierung und Hedonismus

Jugend mit und ohne Gott

Soll noch einer sagen, Boygroups sähen überall auf der Welt gleich aus. Die vier Jungs von Raihan jedenfalls sind aus anderem Holz geschnitzt als die frechen Backstreet Boys – eher aus jenem Material, aus dem man Heiligenfiguren fertigt.

Raihan bemühen sich um eine zeitgemäß-poppige Interpretation einer alten religiösen Musiktradition namens Nasyid. Mit adrettem Äußerem und einer Art malaysischem Gospelgesang, begleitet von Percussion oder melodiösen Pop-Arrangements, schließen die vier Jungs die Lücke zwischen MTV und Koranschule. A-Cappella-Gesang und religiös angehauchte Poesie: Das gefällt nicht nur Gott, sondern auch potenziellen Schwiegermüttern und frommen malaysischen Mädchen.

Kürzlich hatte das Vokalquartett einen Freiluftauftritt in Kuala Lumpur, der Hauptstadt, die alle nur KL nennen. Freundlich scherzend, trällerten die vier Sympathiebolzen ihre Lieder und präsentierten ihre neue, zweite CD. Ab und zu holten sie sich jemanden aus dem Publikum zum Mitsingen auf die Bühne, einen kleinen Jungen oder einen Familienvater, den Mutigen steckte man dann eine CD zu als Lohn der Angst. Nach und nach füllte sich der Platz vor der Bühne, und Grüppchen malaysischer Mädchen mit Kopftüchern drückten sich verschämt kichernd am Rand des Geschehens herum. Ab und zu warf einer der vier Stars einen Blick in ihre Richtung. Mehr als Augenkontakt war aber nicht – keine Teddybären flogen, und Kopftücher schon gar nicht.

Raihan sind der musikalische Beweis für die zunehmende Präsenz der Religion in Malaysia, ihr Debütalbum „Puji-Pujian“ („Lobpreisungen“) erzielte die höchste Auflage in der Geschichte der kleinen malaysischen Musikindustrie. Sie repräsentieren das lächelnde Anlitz des Islam: Mit ihrem modernen Muslim-Pop werben sie für jenen islamischen Lifestyle, den andere lieber von oben herab verordnen würden. Denn seit in zwei malaysischen Bundesstaaten die islamistische Opposition regiert, sieht sich die Regierungspartei UMNO unter Zugzwang gesetzt.

Das merkt man an den Razzien, die seit einigen Wochen die Clubszene in KL in Atem halten. Kaum ein Wochenende vergeht, ohne dass die Polizei eine Party sprengt und von den versammelten Verdächtigen Urinproben nimmt. Nicht selten wird man dabei fündig, denn trotz drakonischer Strafgesetze steht Ecstasy hoch im Kurs – gerade bei den Sprösslingen der gut verdienenden Mittel- und Oberschicht. Deren Hardcore-Hedonismus erstaunt selbst Insider.

Wenn für exklusive Partys wieder einmal britische Star-DJs nach KL eingeflogen werden, kommen schon mal ein paar tausend Leute zusammen, berichtet Matthew Armitage, Redakteur des Musikmagazins Tone. Schätzungen besagen, dass sich auf solchen Raves etwa drei Viertel der Anwesenden mit Pillen in Schwung bringen.

Die Diskrepanz zwischen islamischem Anspruch und urbaner Wirklichkeit ist Ausdruck der Kluft zwischen Kampung (Dorf) und Stadt in Malaysia. Vor diesem Hintergrund muss das Bestreben offizieller Moralwächter, sich gegenseitig zu überbieten, zu absurden Situationen führen. Unlängst wurde eine Gruppe malaysischer Musiker nach einem Auftritt in einer Bar festgenommen – mit der Begründung, ihr Aufenthalt an einem Ort, an dem Alkohol ausgeschenkt werde, schade dem Islam. Das ging dann aber auch dem Innenminister zu weit – er pfiff seine übereifrigen Beamten zurück. DANIEL BAX