Der irische Grenzgänger

Tommy McKearney kämpfte in der IRA und saß lang im Knast. Sein Ziel: Dialog zwischen radikalen Katholiken und Protestanten

von RALF SOTSCHECK

Dass sie einmal Todfeinde waren, merkt man nicht mehr. Der eine, Billy Mitchell, saß jahrelang im nordirischen Gefängnis Long Kesh wegen Mitgliedschaft in der Ulster Volunteer Force (UVF), einer bewaffneten loyalistischen Organisation. Der andere, Tommy McKearney, verbrachte 16 Jahre in einem anderen Flügel Long Keshs – weil er als Mitglied der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) einen britischen Soldaten erschossen hatte.

Vor zweieinhalb Jahren haben die beiden Kontakt miteinander aufgenommen und ein geradezu unglaubliches Projekt in Angriff genommen: eine Zeitschrift, die von Republikanern und Loyalisten gemeinsam herausgegeben wird. „Wir wollen unsere Differenzen offen auf den Tisch legen und darüber diskutieren“, sagt McKearney. „Sowohl die Republikaner, als auch die Loyalisten, die an der Zeitschrift mitarbeiten, wollen versuchen, die Vorurteile auf beiden Seiten abzubauen.“ Die erste Ausgabe von The Other View erschien vor kurzem.

Ein Leben mit dem Krieg

Was für ein Vorhaben für jemanden, der noch heute sagt: „Wenn die Armee wieder 14 Menschen in Nordirland erschießt wie 1972 am Blutsonntag in Derry, dann gehe ich auf die Straße und schieße auf Soldaten.“ Das traut man Tommy McKearney gar nicht zu, er sieht eher aus wie ein Bankangestellter: schmächtig, graue Haare, Goldrandbrille, blaue Krawatte, gebügelte Hose.

McKearney lebt in Monaghan, ein paar Kilometer südlich der inneririschen Grenze. Er ist zu Patricia gezogen, die ihn im Gefängnis ein paar Mal besucht hatte und am Tor auf ihn wartete, als er entlassen wurde. Zur Hochzeit bekamen die beiden ein Grundstück geschenkt und bauten darauf ein kleines Haus. Nichts darin weist auf McKearneys Vergangenheit hin, an den Wänden hängen Familienfotos und eine Kuckucksuhr.

Mit einem anderen Zeitschriftenprojekt hat Tommy McKearney vor kurzem bereits Aufsehen erregt: In Fourthwrite schreiben hauptsächlich Republikaner, die mit der Friedensstrategie von Sinn Féin („Wir selbst“), dem politischen Flügel der IRA, nicht einverstanden sind.

Seit der heute 47 Jahre alte McKearney vor sieben Jahren freikam, kümmert er sich um die Resozialisierung ehemaliger Häftlinge. Er gründete die „Irish Republican Writers Group“, der rund 40 Leute angehören, darunter auch ein paar Sinn-Féin-Mitglieder, die für das Belfaster Abkommen sind. Seine Hilfsorganisation wird aus dem EU-Fonds für Frieden und Versöhnung finanziert.

Fourthwrite ist ein offenes Forum. „Demokratischer Republikanismus und die konformistische Kultur des gehorsamen Schweigens schließen sich gegenseitig aus.“ Sinn Féin hat es bisher abgelehnt, einen Artikel beizusteuern – im Gegenteil: Als er noch Parteimitglied war, bekam Tommy McKearney bisweilen Besuch von der „Sinn-Féin-Gedankenpolizei“, wie er es nennt, die ihn auf Parteilinie bringen wollte.

Tommy McKearney stammt aus einer nordirischen Arbeiterfamilie, wuchs mit dem nordirischen Konflikt auf und wurde in ihn hineingesogen. Seine beiden Großväter kämpften bei der IRA im Unabhängigkeitskrieg und im irischen Bürgerkrieg Anfang der Zwanzigerjahre. Tommy McKearney war 15 Jahre alt, als sich die katholische Bürgerrechtsbewegung 1968 formierte.

Niemand ahnte damals, dass die Forderungen nach gleichem Wahlrecht sowie gerechter Wohnungs- und Jobvergabe einen blutigen Konflikt auslösen sollten. Der „protestantische Staat für protestantische Bürger“, wie es der frühere nordirische Premier Lord Brookeborough ausdrückte, schickte seine Polizei in die katholischen Viertel, ganze Straßenzüge gingen in Flammen auf. Die IRA, die sich zehn Jahre zuvor zur Ruhe gesetzt hatte, grub die Waffen wieder aus.

Die britische Regierung schickte ihre Truppen, und am 9. August 1971 begannen die Internierungen. Die Soldaten verhafteten mehr als 300 Katholiken und sperrte sie zwei Jahre lang ohne Anklage in Lagern und auf Gefängnisschiffen ein. „Es war der Tag nach meiner letzten Schulprüfung“, erinnert sich Tommy McKearney. „Ich ließ die Berufsausbildung erst mal sausen und trat in die IRA ein.“ Es würde ja nur von kurzer Dauer sein, glaubte er: „Wir waren davon überzeugt, dass wir die britische Armee im Handumdrehen besiegen könnten.“

Dreißig Jahre später sind in dem Konflikt mehr als 3.200 Menschen ums Leben gekommen – darunter Tommy McKearneys drei Brüder. Der eine, Sean, war 19, als ihn die eigene Bombe 1974 zerriss. Der andere, Padraig, war 1983 aus Long Kesh geflohen, ging zurück zur IRA und wurde vier Jahre später von der Armee erschossen, als er mit sieben anderen IRA-Männern ein Polzeirevier in Tyrone sprengen wollte. Der dritte Bruder, Kevin, hatte nie etwas mit der IRA zu tun. Er war 32, als er vor sieben Jahren in seinem Metzgerladen von zwei Loyalisten getötet wurde.

Absage an Sinn Féin

Als Tommy McKearney im Gefängnis saß, trat er in den „Deckenstreik“ – die Gefangenen lehnten die Häftlingskleidung ab und hüllten sich in Decken – und später für 53 Tage in den Hungerstreik, um die Anerkennung als politischer Gefangener durchzusetzen.

Im Gefängnis hatte er viel Zeit zum Nachdenken. Er kam zu der Erkenntnis, dass Gewalt nicht dazu taugte, ein vereinigtes Irland zu erkämpfen. Doch mit der politischen Strategie der Sinn-Féin-Führung um Gerry Adams ist er nicht einverstanden: „Es ist eine Bankrotterklärung. Die Republikaner verwalten die britische Herrschaft in Nordirland. Das Schlimme daran ist, dass darüber überhaupt nicht debattiert wird. Die Sinn-Féin-Führung hat immer Recht, was sie auch entscheidet.“

Die erste Ausgabe von Fourthwrite enthält einen Text von Stephen King, dem Berater des Unionistenchefs David Trimble. Schließlich will das Blatt auch offen für Loyalisten und Unionisten sein. Stephen King hält die Strategie von Sinn Féin für einen Fehlschlag: „3.500 Tote, eine neue Stormont-Regierung, ein gesamtirischer Ausschuss für Lebensmittelsicherheit und die Union mit Großbritannien intakt“, schreibt er sarkastisch. „Eine Leistung, auf die man stolz sein kann? Ich glaube nicht.“

Das sieht Tommy McKearney ähnlich, wenn auch von einem anderen Standpunkt aus. Seit dem britisch-irischen Abkommen vom Karfreitag 1998 habe sich Sinn Féin zu einer rein parlamentarischen Partei entwickelt, die Zusage der IRA, ihre Waffen unbrauchbar zu machen, besiegele den Deal nun. „Sinn Féin hat sich schneller entradikalisiert als selbst die deutschen Grünen“, sagt McKearney.

Eine Patentlösung für den Konflikt hat McKearney nicht, aber er findet, dass man zumindest über Alternativen wie eine gemeinsame Verwaltung Nordirlands durch London und Dublin oder eine Abtrennung der westlichen, katholischen Hälfte Nordirlands als Übergangslösung diskutieren sollte.

Genau das findet bei Sinn Féin nicht statt. „Man traut es sich kaum zu sagen, dass man gegen das Abkommen ist“, sagt Tommy McKearney. „Man wird gleich als blutrünstiger Dinosaurier hingestellt.“

Tommy McKearney ist pessimistisch, was den Friedensprozess betrifft: „Die grundlegenden Probleme, die Teilung Irlands und die Anbindung Nordirlands an Großbritannien, bleiben bestehen“, sagt er. „Eine unvollständige Konfliktlösung birgt ein großes Risiko: Ein schlechter Friede wird in zehn oder zwanzig Jahren wieder zum Krieg führen.“

Internet-Infos: Gemeinsame Seite von IRA und Sinn Féin: www.pbs.org/wgbh/pages/frontline/shows/ira.Die radikalen Oranier sind zu finden unter: www.grandorange.org.uk