Die Original-taz-Bleiwüste

Ein Sommer–Summary: Weil Breminale, Sommer in Lesmona, „Aufbruch“-Performance an der Schlachte und HfK-Fete die taz-Kulturredaktion restlos überforderten, blubbert diese Textmasse über alles oder nichts, wie gewohnt

Die schönsten Sätze, die auf der Breminale zu erhaschen waren: „Die Fahnenmäste wackeln noch ein wenig im Wind, weil unsere Erdbohrer nicht lang genug waren“ – geäußert von der patenten Chefin des Feste-Logistik-Unternehmens Furies. Erdbohrer – ein Klang, so rein wie eine Hölderlinzeile. „Oh Gott! Ein Pittbull“ – geäußert beim Anblick eines drei Monate jungen Zwergdackels. „Nein danke, ich habe noch ganz andere Probleme“ – geäußert von einem jungen Mann, dem wir eine Umsonst-taz andrehen wollten. „Alkohol (arabisch ,Augenschminke') ist eine farblose, brennbare Flüssigkeit. Er verhindert Fäulnis“ – aus dem Flyer des party-projects/Buchtstraße. An deren Stand gab's über ein Dutzend Faltblätter, auf denen in großen Lettern die einschlägigen Namen blinkten „LSD“, „Heroin“, „Kokain“, „Polizei“. Also aufgepasst: Keine Polizei mehr aufessen (oder rauchen) – schädigt die Leber.

Dann fiel noch das Wörtchen „deja vu“, nein, nicht weil Bremen sein ultramieses Kharma wieder in einem Dauerclinch mit dem Wetterherrgott auslebte, sondern bei einer der drei! kulturpolitischen Podiumsdiskussionen, die auf der Breminale und beim Fest der Hochschule für Künste abgefeiert wurden – rituell wie das Amen in der Kirche. Hohlfeld, Strömer und Senator Schulte nickten verständnisinnig all den armen Schluckern zu -der in ihrer Existenz gefährdeten GAK-Chefin, den proberaumlosen Rockmusikern, den um seine Ausstellungsprojekte gebrachten HfK-Boss Waller. Man findet einfühlsame Worte voller Poesiealbumstauglichkeit und demonstriert durch die eine oder andere Andeutung eines Gedankens über die gesellschaftliche/wirtschaftliche/abwassertechnische/sternenkundliche/or nithologische ... Relevanz von Kunst, dass man sich nach Epochen der Fettnäpfchentreterei doch noch zu guter Letzt das verbale Besteck eines gestandenen Kulturpolitikers angeeignet hat. Nur gut, dass es den alten Kumpel „Sachzwang“ gibt: Schließlich muss ja irgendjemand dafür blechen, wenn der Spitzensteuersatz (natürlich nur im Dienste von uns allen, den Junks, den Rentnern, den Schülern) demnächst abgesenkt wird. GAK-Schließung für asbestfreie Schulen: so verdreht dann ein Reinhard Strömer die komplexen Zusammenhänge der Umverteilung, weg von Hirn, Herz, Menschlichkeit, hin zur Gewalt der Handymen.

Das alles hat verheerende Folgen für die Außenhandelsbilanz. Auf der Breminale zum Beispiel wurde vor allem Bier getrunken, das von Aldi oder Comet preisgünstig aufs Festivalgelände importiert wurde. Der Breminale-Binnenmarkt hingegen stagniert, genau wie von Lafontaine vorhergesagt. „Scheißjob“, stöhnt der mobile Bierverkäufer, der sein Haake nicht losbringt. Die Invasion der Dosenbiere, das sind die „Zeichen der Zukunft“. Die traten übrigens auch auf, genauer gesagt: die „Phantoms of the future“. Deren Sänger hat seinen Kahlschädel mit neonfarbenen Streifen bemalt. Im Flackern der Strobokoplampe sieht er aus genau wie mein Motorradhelm. Wahrscheinlich ist er auch so unfallerprobt wie mein Motorradhelm. Manisch zappelnd inszeniert er seinen Wahnsinn, mal marschierend mit Feuerwehrhelm, mal am Boden zuckend. Alle Leute mit Geschmacksbremse hassen das krasse Pathos dieser Industrialpunks wie die Pest. Wir aber, als beglaubigte Spezialisten der Peinlichkeit, bewundern diesen Mut zur Kitschdrastik. Zumal die Wüstheit zutiefst selbstironisch ist. Es gibt sogar Indizien (Plastikskelett am Schlagzeug), dass diese Komik noch nicht mal unfreiwillig ist, aber das ist eigentlich nicht wirklich wichtig.

Seit der wüstensandige Texmex-Sound von Calexico die Charts aber auch Kulthür-Feuilletons erstürmt, müssten eigentlich die Chancen von den artverwandten „Los Banditos“ steigen. Wär wirklich ne schöne Band, wenn, ja wenn sie eine/n Sänger/in hätten. Ist aber wahrscheinlich in der Wüste Thüringens – da kommen die Jungs her – verdurstet.

Die hiesigen „Trashmonkeys“ bewiesen den generationenversöhnenden Geist von exzessivem Rock: Ganz vorne, direkt vor den Boxentürmen wippte die sympathische ergraute Mamma des Schlagzeugers zwar eher musikantenstadelgeschult, doch sichtlich verzückt – und ganz ohne Ohrenstöpsel, im Gegensatz zum Punk nebenan. Mutterliebe ist groß und artig, die Band großartig. Szenen, die der charakterlichen Fort- und Weiterbildung dienlich sind, bot auch der genialische, charismatische Sänger der „Venus Vegas“. Bei dem Versuch eines Prince-gleichen Spagatsprungs fiel er um, bumm; was ihn nicht den Hauch einer Spur verstörte und seinen ekstatischen Gesangsfluss nicht ins Trudeln brachte: die Kunst des würdevollen Fallens sollte der höchste Wert in jeder anständigen Gesellschaft sein, nicht Erfolg, der Erfolg der Kunsthalle (gerade eben protzt deren Pressesprecherin via dpa, wie erfolgreich deren Beutekunst-Ausstellung ist), der Erfolg von Bremen Marketing ... Apropos Marketing: Seit Freitag steht direkt vor dem obszön-herrschaftlichen Deutsche-Bank-Treppenaufgang in der Katharinenpassage eine riesige weiße Kutte, die mit allerlei Sponsorenaufklebern verziert ist. Ausgefuchste HfK–Studies wollen damit für die aktuelle Wagenfeld-Ausstellung werben und wissen wahrscheinlich selbst längst nicht mehr, ob es sich bei der Kutte um Popart im Stile Claes Oldenburgs oder um eine Marketingmaßnahme handelt. Ich persönlich finde sowas problematisch. Neben der Kutte, den roten Fahrrädern auf dem Goethetheaterdach und den Myriaden blauer Pferde gab es jüngst ein viertes Hallooo-hier-sind-wir in Bremen. Gelbe Stühle auf den Schlachte-Anlegerpfeilern wollten aufmerksam machen auf „Aufbruch“, die Massen-Performance des Kulturladens Huchting am Freitag. Ich finde das gut, denn wenn ich demnächst meinen ranzigen Kühlschrank und Omis Schuhschrank mitten auf der Straße entsorge, dann ist das nicht mehr Umweltverschmutzung, sondern original Bremen Marketing und keiner kann mir was. Bei „Aufbruch“ machten verschiedene Gruppen in verschiedenen Masken verschiedene Musik, schließlich sind wir alle heimatlose Kofferträger: ein Multikultibekenntnis noch der alten Schule, alles nur nebeneinander, nichts miteinander. Entsprechend gesplittet waren die Gemüter. „Keine Dramaturgie, keine durchdachte Bewältigung des Raums, Patchwork“, klagte eine Kollegin. Doch unter der riesigen Passantenmenge gab's auch Begeisterung: „Ganz toll. Du kommst nichtsahnend vorbei und stößt plötzlich auf seltsam verschlammte traumverlorene Menschen und auf wilde Trommeleien. Die Didgeridoogruppe war super.“ Für ein angekündigtes „Spektakel“ war es aber doch eher wenig Spektakel.

Getrommel gab's auch auf der Breminale: Die Coulibaly Brothers aus Burkina Faso sind schöne Menschen in schöner Schachbrettmusterkleidung. Toll, wie ihre authentische (oder zumindest authentisch klingende) Musik auf rudimentären Kürbis-Xylophonen bald das Zelt wie Elvis rockte. Nach dem Spiel der japanischen Cicala Mvta, die sich jedem erdenklichen Einfluß öffnen, nur nicht einem aus Japan, und nach dem Oberton-Pop von Yat-Kha war es wieder mal unvermeidlich: das Gestreit darüber, ob, wie und wann Menschen anderer Weltecken das Recht hätten musikalisch über ihren Tellerrand zu stibietzen.

Wie eng der Tellerran mancher Menschen erzwungenermaßen ist, erzählte die Palästinenserin Sumaraya Farhat-Naser als Sommergästin bei zettBeh in der Schauburg. WohnHaft in Zone B, kann sie sich frei bewegen in einem Umkreis von 9 km. Alles andere muss von israelischen Behörden genehmigt werden. Was können Deutsche tun, lautete eine Frage aus dem Publikum. Nicht als Deutsche verschämt weggucken, sondern in aller Deutlichkeit über die Fehlerhaftigkeit der israelischen Politik sprechen, meinte Farhat-Naser. Nicht sprechen sollte hingegen Marie-Jo Lafontaine. Die berühmte Belgierin, die zur Zeit mit einer Fotoarbeit in der Städtischen Galerie am Buntentor vertreten ist, macht pathetische Fotos von Kindern, Jugendlichen, Bodybildern, Menschen also, und erzählt davon am Freitag mit erschreckender Nüchternheit.

Zu Ihrem Glück ist der Platz auf dieser Seite zu Ende. Doch es ließe sich noch massenhaft Metern über Shakespeare im Park, das wonnigliche Japsen von Punkhunden im Rhythmus einer Breminale-Salsaband, das wundersame Glitzern von Regentropfen im Strahl von Kinoprojektoren um ein Uhr nachts und die bewundernswürdige Wetterresistenz der dazugehörigen Kino-46-Crew. Das Resumee lautet: Bremen hat wenig Sonne und braucht deshalb viel Kultur. bk