US-Raketenschutz klappt nicht

Auch der jüngste Test für das geplante US-Raketenabwehrprogramm ist gescheitert – das „kill vehicle“ löste sich nicht von der Trägerrakete. Jetzt kann Präsident Bill Clinton die Entscheidung über den Schutzschild getrost seinem Nachfolger überlassen

aus Washington PETER TAUTFEST

Der mit Spannung erwartete 100 Millionen Dollar teure Test einer Abwehrrakete ist in der Nacht auf Samstag gescheitert. Damit hat das von US-Präsident Bill Clinton angestrebte Raketenabwehrprogramm einen schweren Rückschlag erlitten. Eine Entscheidung über den Bau des umstrittenen Abwehrschilds zum Schutz Nordamerikas vor Raketenangriffen dürfte nun kaum vor der Präsidentschaftswahl im November fallen.

Nachdem der Beginn des Manövers wegen eines technischen Problems um fünf Stunden verschoben werden musste, startete zwar kurz nach null Uhr kalifornischer Zeit von Vandenburg aus eine Rakete, die einen Angriff auf die USA simulieren sollte.

Auch die 10 Minuten später von den 8.000 Kilometer entfernten Marshall Inseln gestartete Rakete erreichte ihre Flugbahn oberhalb der Erdatmosphäre, aber die zweite Stufe der Trägerrakete löste sich nicht vom eigentlichen Geschoss, das von Radar geleitet und mit Hilfe eigener Sensoren den heranfliegenden feindlichen Gefechtskopf zerstören sollte. Es war der dritte Probeschuss, bei dem eine anfliegende Rakete getroffen werden sollte – und der zweite, der daneben ging.

Diesem Test war die Rolle einer Generalprobe des Systems zugemessen worden, weil er der Entscheidung Clintons für oder gegen ein solches Abwehrsystem voranging. Von insgesamt sechs Tests dieses Systems sind damit drei klar gescheitert – das Ergebnis von zwei als gelungen eingestuften Versuchen ist umstritten, denn die Ergebnisse gelten unabhängigen Wissenschaftlern als gefälscht.

Der Direktor des Raketenabwehrprogramms, General Kadish, sagte noch in der Nacht vor der Presse, dass sich jedes einzelne der Bestandteile des komplizierten technischen Zusammenspiels für sich schon mal in einem Test bewährt hätte und das Projekt weiter vorangetrieben werden sollte. Das erinnere ihn an einen Schüler, der drei Arbeiten verhauen hat und dann geltend macht, man müsse nur die in jeder Arbeit jeweils richtigen Antworten zusammennehmen, um ihm dennoch eine Versetzungsnote zu geben, spottete der Raketenabwehrfachman Joseph Cirincione.

Unter dem Eindruck des gescheiterten Versuchs hat Clinton jetzt die Möglichkeit, die Entscheidung über die Raketenabwehr seinem Nachfolger zu überlassen. Der Republikanische Präsidentschaftskandidat George W. Bush ließ sofort erklären, er bleibe trotz Enttäuschung zuversichtlich. Amerika werde „unter der richtigen Führung“ eine funktionierende Raketenabwehr entwickeln.

Nach der Gruppe von Nobelpreisträgern, die am Donnerstag ihre Gegnerschaft zu einer Raketenabwehr angemeldet hatte, meldete sich am Freitag die Organisation der „Wirtschaftsführer für sinnvolle Prioritäten“ zu Wort. Die 60 bis 120 Milliarden Dollar, die das System kosten soll, seien besser für Krankenversicherungen und zur Bekämpfung der Armut auszugeben.

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