Der west-östliche Turban

Staatsgast Chatami will die islamische Theokratie reformieren. Er tritt für Öffnung nach außen und „Dialog der Kulturen“ ein. Er könnte scheitern

von THOMAS DREGER

Das Datum ist Geschichte: Am 2. Juni 1967 besuchte zuletzt ein iranisches Staatsoberhaupt die Bundesrepublik Deutschland. Gegen den Berlin-Besuch des Schah Resah Pahlevi nebst Gemahlin Farah Diba gab es massive Studentenproteste, die von eigens aus Teheran eingeflogenen „Jubelpersern“ niedergeknüppelt wurden. Von einem Polizisten wurde der Student Benno Ohnesorg – erschossen. Eine indirekte Folge des Besuchs war die Anfang der 70er-Jahre entstandene „Bewegung 2. Juni“, die anarchististische Variante zur Roten Armee Fraktion (RAF).

33 Jahre später besucht am Montag mit Mohammad Chatami erstmals wieder ein Staatsoberhaupt aus Teheran Berlin – und alles ist anders. Dazwischen liegen eine Revolution (1979), die gesellschaftliche Verarbeitung derselben, ein Mordanschlag auf vier oppositionelle Iraner in dem Berliner Restaurant „Mykonos“ (1991) und die überraschende Wahl eines reformorientierten Staatspräsidenten (1997). Doch ob Schah oder Geistlicher: Jetzt wie schon 1967 haben deutsche Behörden Angst vor Protesten und Anschlägen.

Iranische Oppositionelle befürchten – parallel zur Situation 1967 –, dass Menschenrechtsverletzungen in Iran kein Thema sein werden, sondern vor allem wirtschaftliche Kontakte. Auf Plakaten in ganz Deutschlandwird Chatami als Mörder bezeichnet, so wie einst der Schah.

Doch die Protestierenden verkennen die Realitäten in der Islamischen Republik. 77 Prozent der WählerInnen des Landes stimmten bei den Präsidentschaftswahlen vor drei Jahren überraschend für den Reformkandidaten Chatami – weil er die einzig sichtbare Alternative zum religiösen Establishment war. Und diese Wahl hat Folgen: In Teehäuser in Teheran, Isfahan oder Schiras spazieren mittlerweile Händchen haltende Paare, kein Sittenwächter fragt mehr, ob sie verheiratet sind oder nicht – jedenfalls derzeit.

In Iran wird inzwischen nicht mehr darüber diskutiert, ob sich Reformer oder Konservative im Machtkampf durchsetzen. Die Frage ist vielmehr, wie weit die Refomer gehen wollen und was sich die Bevölkerung noch von deren konservativen Gegnern bieten lässt. Obwohl der schiitische Islam in Iran stark verwurzelt ist, hört man vermehrt den Ruf nach „Säkularismus“. Die Verwendung dieser Vokabel wurde noch vor wenigen Jahren als „Abfall vom Islam“ und damit als todeswürdig ausgelegt.

Nicht nur von westlichem Satellitenfernsehen „verführte“ Jugendliche stellen das einst von Ajatollah Ruholla Chomeini installierte theokratische System grundsätzlich in Frage. Es häufen sich Berichte über Taxifahrer, die sich weigern, schiitische Kleriker zu befördern, über Bankkunden, die anstehende Turbanträger nach hinten in die Schlange verweisen. Offen wird darüber diskutiert, ob Chomeinis Lehre der „Statthalterschaft der Rechtsgelehrten“, die Grundlage der Theokratie, noch Staatsgrundlage sein kann.

Beigetragen zum Überdruß am alten System hat der wirtschaftliche Verfall des Landes. Hatten die Machthaber ihre Untertanen noch im vergangenen Jahr mit dem gesunkenen Ölpreis beschwichtigen können, weiß heute jeder, dass der sich inzwischen verdreifacht hat. Und es ist kein Geheimnis mehr, wo die Erträge aus dem Geschäft mit dem Ölgeschäft verschwinden: Zumeist fällt der Name der ehemaligen Staatspräsidenten Rafsandschani und seiner Familie.

Aber noch immer verschwinden in Teherans Straßen Andersdenkende spurlos oder werden von religiösen Schlägertrupps der „Anhänger der Partei Gottes“ (Ansar-e Hisbullah) krankenhausreif geschlagen, so wie zuletzt der auch für die taz tätige Übersetzer Chalil Rostamchani. Im Mai wurde fast die gesamte reformorientierte Presse des Landes verboten. Noch immer müssen religiöse Minderheiten wie die als „Gottlose“ geächteten Bahai damit rechnen, nur wegen ihres Glaubens hingerichtet zu werden. Noch immer werden Dissidenten im Ausland bespitzelt. Noch immer lesen sich Iran-Berichte von internationalen Menschenrechtsorganisationen wie die aus einer x-beliebigen Diktatur.

Irans Präsident hat in seiner bisherigen Amtszeit klar gemacht, dass er eine Normalisierung des Verhältnisses zum westlichen Ausland und einen „Dialog der Kulturen“ will. In Weimar wird er darüber am Mittwoch mit Johannes Rau diskutieren. Er wird das Goethe-Haus besichtigen und ein Denkmal für den persischen Nationaldichter Hafis, der Goethe zu seinem Werk „Der west-östliche Divan“ anregte, enthüllen.

Innerhalb der iranischen Staatsführung gilt Chatami als „Reformer“. Doch viele IranerInnen, die ihm einst die Stimme gaben, betrachten ihn längst nicht mehr als Speerspitze ihrer eigenen Bewegung, sondern als Produkt derselben. Chatami will die Islamische Republik, die er einst selbst mit aufgebaut hat, erhalten und reformieren zugleich. Dabei könnte er scheitern. Ziel der Revolution war es, das diktatorische Schah-Regime zu beseitigen. Das ist gelungen. Entstanden ist eine neue Diktatur. Chatami hilft nun, sie in eine Zivilgesellschaft zu verwandeln. Das ist sein Verdienst. Doch vielen seiner WählerInnen geht diese Entwicklung viel zu langsam. Sie wollen mehr: Demokratie.