Im Zeitungsknast

In Bayern erscheinen sechs Gefängniszeitungen, eine davon regelmäßig. Die sozialen und juristischen Themen finden ein geteiltes Echo

von BERND HEIN

Knackis hauen selten in die Tasten, und wenn, entsteht etwas, das im Behördenslang „Anstaltszeitung“ genannt wird. Im Freistaat Bayern geben sechs Gefängnisse Zeitungen heraus. Ein Euphemismus, denn eigentlich werden die Blätter hinein gegeben, hinter die Mauern. Draußen interessiert sich kaum jemand für die Publikationen. Außer im Justizministerium, dort liest man alles sehr genau.

Im Frauenknast Aichach erscheint Die weis(s)e Frau. In unregelmäßigen Abständen bindet die Redaktion Lebenshilfe, Gedichte und Belletristisches zu einem Heft. „Der Drache“ lässt sich auf knapp 60 Seiten höchstens einmal pro Jahr in St. Georgen/ Bayreuth blicken, die Wir fristet in Landsberg ein sporadisch aufflackerndes Leben, und in Neuburg verkümmert ein Mauerblümchen. Die Schachzeitung in Straubing gehört kaum dazu, das DIN-A5-Heftchen behandelt ausschließlich Bauernopfer und Rochaden.

Das einzige pünktlich im Dreimonatsrhythmus aufgelegte Blatt wird in Kaisheim gemacht. Die wenigen Häuser der Gemeinde stehen im Schatten der vergitterten Zisterzienser-Abtei, aus ihren Dachfenstern kann man die Häftlinge beim Hofgang betrachten. Hinter dem Stacheldraht ist es so sauber und ordentlich wie draußen, man ist in Schwaben, wenn auch auf der weißblauen Seite. Im Impressum der Nummer 15 von Horizonte stehen vier Namen, vier von 600 Häftlingen.

Herausgeber ist der Leitende Regierungsdirektor Friedhelm Kirchhoff, Anstaltsleiter und Zensor in Personalunion. Den Beraterposten hat Theo Kegler (61) übernommen. Er ist als Diakon von der katholischen Kirche hinter die Mauern geschickt worden, und fragt sich manchmal, ob mit seiner Auffassung von Seelsorge zu vereinbaren ist, ein Viertel der Arbeitszeit in Horizonte zu stecken. Aber seit mehr als drei Jahren antwortet er mit Ja: „Jemand der sitzt, hat das Bedürfnis, von seiner Situation Mitteilung zu machen.“ In Kaisheim hat das Blatt eine Auflage von 700 Exemplaren, und die Reaktionen sind unterschiedlich. „Viele Gefangene finden die Zeitung einfach Scheiße“, sagt Kegler. Sie lesen den Namen des Herausgebers und lassen die Rollläden in ihren Köpfen runterrasseln. „Was kann vom Anstaltsleiter schon kommen?“ Andere allerdings sagen: „Gut so, macht weiter.“ Horizonte findet ihre Leser. Sie wird im Speisesaal kostenlos verteilt, liegt in Stapeln auf den Gängen und wandert von dort in die Zellen. Ein Verdienst der Rubrik „Was uns stinkt“. Unter der Zeichnung eines schnaubenden Stiers beschweren sich die Autoren über Ungerechtigkeiten im Knast-Alltag. Begehrt sind auch die „Rechtsunsicherheiten“, in denen Redakteur Kegler aus Oberlandesgerichtsurteilen zitiert – juristische Kost für Häftlinge, die ihre Rechte kennen und einfordern wollen. Und die Vollzugsbeamten lesen die Zeitung – sehr kritisch, wie Kegler meint. „Da gibt es schon manche Auseinandersetzung.“ Allerdings: „Auf große Wirkung darf man nicht hoffen, denn der Strafvollzug ist in erster Linie eine sehr komplizierte und schwerfällige Behörde.“

Jeden Montag trifft sich das Redaktionsteam in einer ehemaligen Zelle. Zwei Computer stehen darin, ein Tisch, Kassettenrekorder und ein paar Aktenordner. Die Fensterluken sind mit roter Farbe eingerahmt. „Die Zeitung fällt unter die Freizeitaktivitäten, aber sie ist bestimmt die wichtigste Gruppe“, vermutet Kegler. Die Häftlinge dürfen dazu nichts sagen, das Justizministerium hat den Kontakt mit der Presse verboten. „Vielleicht spielt auch eine Rolle, dass Herr Kirchhoff kaum zensiert“, sagt Kegler. Der Diakon arbeitet seit 15 Jahren in dem Gefängnis und findet: „Er ist bestimmt der beste Leiter, den ich hier erlebt habe.“ Ohne Murren lässt Kirchhoff die 1.700 Mark Produktionskosten für jede Ausgabe anweisen und demnächst soll die Redaktion in einen größeren Raum umziehen, damit sich mehr Leute beteiligen können. Einmal hat der Anstaltsleiter allerdings einen Artikel verboten. „Die Häftlinge hatten kurz vor der Wahl ein Interview mit der grünen Landtagsabgeordneten Elisabeth Köhler geführt. Die konnte wohl politische Werbung und Sachthemen nicht ganz auseinander halten.“ Auch hier hat Theo Kegler Verständnis. „In Bayern regiert nun mal die CSU, wahrscheinlich war der Schatten zu lang.“