piwik no script img

Unter ostfriesenbenerzten Eingeborenen

■ Auch ohne Sonne eröffnete Oldenburg am Wochenende seinen diesjährigen Kultursommer. Ein erster Stimmungsbericht

Eine emsige Ratte kratzt den letzten Dreck vom Oldenburger Pflasterstrand, der Rest der Baukolonne stopft Blumen in die Steinritzen. Dazwischen schlängeln wulstlippige Federboagrazien ihre Körper hüftschwingend zu Sambaklängen, ein Kardinal zückt abwechselnd Rose und Kreuz und wird vom Publikum weggebuht.

Das Atelier Blauschimmel streute Farbtupfer in das Oldenburger Kultursommergrau, der Auftakt am Samstag war total verregnet. Das kann aber den gemeinen Oldenburger bekanntlich nicht schrecken, denn schließlich fällt die hiesige sechste Jahreszeit eben meistens in die Siebenschläferwochen. Und so harrten regenbeschirmte und ostfriesenbenerzte Eingeborene denn auch beherzt aus, bis das nächtliche Spektakel der französischen Straßentheatergruppe „Transe Express“ endlich losging.

Doch das hat sich eben nicht durchweg gelohnt, jedenfalls entpuppte sich die Performance „Mobile Homme“ allenfalls als nettes Eröffnungsbeiwerk, aber gewiss nicht als füllender Programmpunkt. Mit ohrenbetäubenden Trommelwirbeln bahnen sich grünberockte ZinnsoldatInnen ihren Weg. Pfeifentriller und Sambagrooves geben den Befehl zu einem Cache-Cache in der Menschenmenge. Schließlich erklimmen die marionettenhaften Tambouren eine Art Gullivermobile, das von einem Kran in die Höhe gezogen wird. Eine Trapezkünstlerin schaukelt ganz oben in diesem Menschenmobile, angefacht vom beständigen Tam-Tam der totengräberbleichen TrommlerInnen verrenkt sie sich im Oldenburger Nachthimmelregen. Ein Bild von surrealer Kraft, dem sich schließlich auch der Regen ergibt.

Das Pflaster dampft auf dem Weg in den Schlossgarten. Hier riecht es nach frischem Humus, versteckte Lichtquellen im Gebüsch verwandeln die grünschillernde Rinde uralter Baumriesen zu reptilhaften Wesen. Im Pavillon schimmert Kerzenlicht, feierliche Dämmerathmosphäre lädt zum Jazz um Mitternacht. Rolf Zielke spielt, diesmal mit einer abgespeckten Version der Combo, mit der der Berliner Pianist schon beim diesjährigen „Jazz en Bloc“-Festival zu Gast war. Im Tri-Gespräch mit Stephan Abels Sopransax und den Percussions von Mustafa Böztüys Darbouka treibt Zielke am Piano dichte boppige Texturen in den Raum, in die der schöne abgestumpfte Ton des Saxophon immer wieder wie vom Himmel fällt, um ausgeruht wieder aufzusteigen. Passagen, die nach Abschied riechen. Doch das rhythmusbetonte Spiel Zielkes überrennt oft genug die Virtuosität von Mustafa Boztüy, der in den Solopassagen an Darbouka, Udu und Bendir erstaunlich vielstimmig spielt. Das kam oftmals nicht zusammen und erweckte den Eindruck, als brauche man für den „Ethno Jazz“ (das ist der Titel der Mitternachtsreihe) passende Percussion-Attribute, aber als Clichée, ohne sie wirklich musikalisch ernst zu nehmen.

Einer, der das schon immer tut, ist Axel Fries – Solopauker am Oldenburgischen Staatstheater, Ensemblemitglied bei „oh-ton“ (Verein für Neue Musik), Komponist, Schlagwerker. Barfüßig steht er auf der Bühne der Oldenburger Kulturetage – eben wegen Regen – eigentlich hätte es der Rasen des Schloßgartens sein sollen. Und die Bleche, Gongs und Glockenspiele sollten am Sonntag in der Sonne blinken, denn die Konzerte von Axel Fries sind einfach auch was für–s Auge. Inmitten einer wahren Instrumentalburg aus Marimbaphonen, Octobans und jeder Menge Blech geht er Pauke und Becken nicht nur mit Klöppeln ans Fell, sondern er behandelt sie gleichzeitig mit Metallstäben und setzt den Besen wie einen Spachtel an: flach und hart.

In „Quannah“ aber, einer Komposition für die Choreographie „Morgen und Morgen“ von Irina Pauls, streicheln die Klöppel noch sanft das Fell der elektrifizierten Pauke. Doch die Töne verziehen sich, werden drohend, grollend, Flugzeuge überqueren den Raum im Tiefflug. Fries behandelt seine Instrumente in einer unglaublich differenzierten Spanne, von zärtlich bis hin zum scheinbar Zerstörenden. In einem konzentrierten Zugleich rückt er auch noch Gongs, Backblechen, Sägeblättern und Schrott ans Blech, bedient mit dem Fuß Pedalen des Synthesizer, dreht an den Knöpfen, stellt Patterns ein, die Tekknohärten suggerieren, spielt mit Feed-Backs und Grooveboxes. Das elektrifizierte Becken heult auf, ein Geigenbogen zupft an seinen Rändern: der „China Dragon“ spielt auf geisterhaften Windharfen, fliegt mit blechernem Widerhall durch den Raum, ein vielköpfiges Ungeheuer.

In „Umatilla“ hingegen – einer Uraufführung – tröpfelt das Vibraphon zunächst poetisch, doch die Tropfen prallen hart zurück. Responses der Groovebox spielen zeitweise mit Obertönen, die vom Lauf der Klöppel wiederum mit Jazzigem überrannt werden. Diese komplexen Gebilde sind nicht nur virtuos, in ihrer Mischung aus Transparenz und treibender Härte grooven sie auch noch ungemein.

Daran haben auch die Schüler von Axel Fries sichtlichen Spaß. Die Musikschulklasse „Schlagwerk 5“ begeisterte am Sonntag mit “Pling 4“, einem Versteckspiel von Triangeln und Becken, mit dem die fünf Jungen beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ den ersten Preis bekamen. Mit „Silk Robe“, einer treibenden, bassbetonten Komposition ihres Mentors und Lehrers rissen die Fünf das Publikum dann endgültig aus den Stuhlreihen. An Vibra-und Marimbaphon, Synthesizer, Drums und Glockenspiel hüpften die Neun- bis Achtzehnjährigen total relaxed und konzentriert im Takt – und gaben sogar noch mal Nach-Schlag.

Marijke Gerwin

Die nächsten Termine : The Walkabouts spielen heute um 20.30 Uhr auf dem Schloßplatz. Ebendort, gleiche Zeit, sind morgen Yo La Tengo zu hören. Programm-Info-Hotline: Tel.: 0441/924 80 10

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen