Im Flugzeug zu Lucky Luke

Lance Armstrong ist auf dem besten Weg, erneut die Tour de France zu gewinnen. Nach der ersten Bergetappe hat der Radprofi aus Texas die Konkurrenz weit hinter sich gelassen – und seine Zweifler

von MARKUS VÖLKER

Richard Virenque hatte auf dem Anstieg hinauf nach Lourdes Hautacam eine Erscheinung. Ein Flugzeug, erzählte er später im Ziel, sei an ihm vorbeigedüst. So schnell, dass er natürlich nicht hatte folgen können. Das Flugzeug, stellte sich alsbald heraus, war Lance Armstrong.

Der Amerikaner zischte an dem Franzosen vorbei wie eine Concorde an einer fliegenden Kiste der Brüder Wright, spritzte ihm die Gischt vom Hinterreifen kurz ins Gesicht und verschwand im Nebel der Pyrenäen. Als Armstrong über den Zielstrich fuhr, hatte er die Konkurrenz weit hinter sich gelassen. Virenque: 1:15 zurück. Ullrich: 3:19 Minuten. Pantani: 5:10. Nur der Spanier Javier Otxoa kam vor dem 28-Jährigen an. Und während Virenque über die Triebkräfte beziehungsweise -werke des Konkurrenten sinnierte, ließ sich dieser das Gelbe Trikot überstreifen.

Im Gesamtklassement liegt er nun 4:14 Minuten vor Ullrich. Ist die Tour de France also schon vorbei, Armstrong unschlagbar? Nein, sagte Armstrong vor der gestrigen leichteren 11. Etappe, die der Niederländer Erik Dekker gewann, „noch ist nichts entschieden. Es kommen noch der Ventoux und die Alpen.“ Ergo: „Es kann noch viel passieren.“ Die Mitfavoriten sind sich da nicht so sicher. Jan Ullrich sagt: „Wenn er in der Form weiterfährt, ist gegen ihn kein Kraut mehr gewachsen.“ Selbst keine Pille, denn der Konsum der Schnellmacher wurde dem Peloton vergällt. Blutkonserven, während der Frankreichschleife gezapft, werden danach auf das Mittel Epo kontrolliert.

Französische Zeitungen glauben, das Rätsel der physischen Stärke Armstrongs in seiner mentalen entdeckt zu haben, und nennen ihn deswegen „Headstrong“. Ein Beiname, der ins Vermarktungskonzept passt. Schmissige Slogans erweitern die Aufmerksamkeit. Und nur die Tour erweckt in Übersee Interesse (Teammanager Mark Gorski: „Wenn ein amerikanisches Radteam die Tour de France gewinnt, dann ist das so, als gewänne eine französische Fußballmannschaft die Super Bowl.“). Armstrongs Biografie tut ein Übriges. Er überstand eine Krebserkrankung, kam zurück, sah und siegte. Nach dem Erfolg bei der Tour im vergangenen Jahr wurde Armstrongs Konterfei in seinem Heimatland sogar auf eine Cerealien-Box gedruckt, was zuvor kein Radler schaffte. Sein Team konnte das Budget heuer um 50 Prozent auf zwei Millionen Dollar erhöhen. Die Leidensgeschichte „It’s not about a Bike“ verkauft sich prächtig.

Johan Bruyneel, Sportdirektor bei US Postal, glaubt, die Leistung seines Schützlings auf der 10. Etappe sei der „Todesstoß für die Konkurrenz“ gewesen. Zu groß der Vorsprung, als dass noch Überraschendes passieren könnte. „Mit diesem Zeitunterschieden werden wir das Gelbe Trikot verteidigen. Die Kletterer haben ohnehin schon einen Schlag auf ihre Moral bekommen“, sagt Bruyneel. Angst und bange dürfte Ullrich und Co. bei den Nachrichten werden, die Chris Carmichael zu verkünden hat, Armstrongs Trainer. Noch nie habe er derart gute Fitness-Werte gehabt, nicht einmal im letzten Jahr. Damals prophezeite Carmichael: „Lance gewinnt.“

Armstrongs Frau Kristin hat indes ihre ganz persönliche Theorie vom Erfolg des Ehemanns: „Im Training war er motivierter denn je, schnell nach Hause zu kommen.“ Denn dort, also entweder im südfranzösischen Nizza oder im texanischen Austin, wartet Luke, sein Sohn, neun Monate alt und sicher lucky, wenn er von den Wundertaten seines Papas hört.