BOSNIEN BRAUCHT EINE WAHRHEITSKOMMISSION ZUR VERSÖHNUNG
: Scham statt Zynismus

Srebrenica ist zu einem Symbol für das Versagen der zivilisierten Welt geworden. Die Ereignisse damals, die unterlassene Hilfeleistung der Mächte der Welt, die Unfähigkeit der Vereinten Nationen, ihre eigene Schutzzone auch zu schützen, führte schließlich zur militärischen Intervention durch die Nato, zum Abkommen von Dayton, zum Wiederaufbau Bosniens. Für all dies steht Srebrenica. Und zudem für die Unfähigkeit der serbischen Gesellschaft, sich mit der eigenen Schuld auseinander zu setzen.

Obwohl Srebrenica zu den inzwischen am besten dokumentierten Verbrechen während des Krieges im ehemaligen Jugoslawien gehört, obwohl nach der Öffnung von Massengräbern die Beweise dafür gefunden wurden – die Überreste von über 4.000 Opfern allein in Tuzla und Visoko –, und obwohl in Den Haag Anklage erhoben wurde, leugnet die Mehrheit der Serben dieses Verbrechen bis auf den heutigen Tag.

Was sind das eigentlich für Menschen, die sich nicht schämen zu behaupten, die Muslime hätten sich „selbst umgebracht“: Wie kann man diese Verbrechen der „ethnischen Säuberungen“, die Konzentrationslager Omarska, Keraterm und Manjaca, die fürchterlichen Massenmorde im Jahre 1992, denen mehr als hunderttausend Menschen zum Opfer fielen, nur zu Erfindungen feindlicher Journalisten und finsterer Mächte erklären? Zynismus statt Scham, Verdrängung statt Aufklärung, Hass statt Versöhnungswillen, das charakterisiert die Stimmung in der Republika Srpska und der jetzt in Srebrenica wohnenden serbischen Bevölkerung. Dass Mörder ihre Taten vertuschen wollen, ist selbstverständlich, dass die Hauptangeklagten Ratko Mladić, Radovan Karadžić und Slobodan Milošević die Schuld von sich weisen, ist nicht verwunderlich; dass es aber keinen Aufschrei in der serbischen Gesellschaft gibt, schlägt auf diese selbst negativ zurück.

Die Leugnung der eigenen Verbrechen verbaut der serbischen Nation den Weg zurück in das europäische Haus. Und sie verbaut es den Serben Bosniens, sich mit den anderen Volksgruppen zu versöhnen. Sie dient zudem den serbischen Rechtsradikalen als Mittel, die Spannungen in Bosnien zu erhalten, also den Friedensprozess zu behindern. Wenn der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Sarajevo, Jakob Finci, fordert, Wahrheitskommissionen nach dem Vorbild Südafrikas einzusetzen, will er diese Strategie unterlaufen. Niemand will die serbische Nation in der (selbst gewählten) Ecke stehen lassen. Aber es müssen sich jetzt Kräfte in Serbien zeigen, die die Chance ergreifen, die in Fincis Angebot steckt. Wir in Deutschland wissen, wie schwierig das ist. ERICH RATHFELDER