Von der Geschichte eingeholt

In Oppeln ist jetzt der frühere Kommandant des Lagers Lamsdorf, Czeslaw Geborski, angeklagt. Er soll für den Massenmord an Deutschen direkt nach Kriegsende verantwortlich sein. Der Prozess wäre das erste derartige Verfahren in Polen nach der Wende

aus Warschau GABRIELE LESSER

Als am 4. Oktober 1945 die Baracke 12 im Lager Lambinowice (Lamsdorf) in Oberschlesien brannte, schoss Czeslaw Geborski auf die panikartig ins Freie stürzenden Menschen. Die aufs Dach der Baracke geflüchteten Häftlinge verbrannten bei lebendigen Leibe. Insgesamt starben an diesem Tag 48 Deutsche.

Über 55 Jahre später soll sich nun der Kommandant des Lagers Lamsdorf vor Gericht verantworten. Dies ist der erste derartige Prozess in Polen nach der Wende von 1989. Das Lager Lamsdorf bei Opole/Oppeln ist eines der bekanntesten Übergangs- und Zwangsarbeitslager für Schlesier direkt nach dem Krieg. Wie viele Menschen hier den Tod fanden, ist umstritten. Über 6.000, schrieb der deutsche Lagerarzt Heinz Esser in seinen Erinnerungen, um die 1.000, schätzt der polnische Historiker Edmund Nowak in seiner Arbeit „Schatten über Lambinowice“.

Die Staatsanwaltschaft in Oppeln hat zwei Jahre gegen den damals 20-jährigen Lagerkommandanten Czeslaw Geborski ermittelt. Jetzt hat sie die Klageschrift an das Regionalgericht in Oppeln gesandt. Dieses muss einen Prozesstermin festlegen. Aufgrund des hohen Alters des Angeklagten und der Schwere der ihm zur Last gelegten Verbrechen rechnet die Staatsanwaltschaft mit einem Termin noch in diesem Jahr.

Es wäre das dritte Mal, dass sich der heute 75-Jährige wegen Massenmords an Deutschen vor Gericht zu verantworten hätte. Bereits im Oktober 1945, sechs Tage nach dem Brand im Lager Lamsdorf, wurde er verhaftet und des gemeinschaftlichen Mordes an den Schlesiern angeklagt. Er habe den Wärtern Befehl gegeben, die „Fliehenden“ zu erschießen. Da von den eingeschüchterten Zeugen im Lager niemand aussagen wollte, stellte das Gericht das Verfahren gegen Geborski wieder ein. Zugute gehalten wurde ihm, dass er nur als Häftling in einem deutschen KZ Erfahrungen habe sammeln können, wie ein Zwangsarbeitslager zu führen sei.

Geborski machte dann in Katowice/Kattowitz beim polnischen Geheimdienst Karriere. Als er 1957 zur „Tauwetterzeit“ erneut verhaftet und angeklagt wurde, war er Hauptmann. Die Klage lautete auf mehrfachen Totschlag beim morgentlichen Appell im Lager Lamsdorf, auf mehrfachen Totschlag beim Verhör, auf Erschießen angeblicher SS-Männer und auf wahlloses Erschießen von neun Gefangenen. Der Prozess wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Nach einem Jahr erklärte das Regionalgericht in Oppeln Geborski für unschuldig. Er machte weiter Karriere im Geheimdienst, brachte es bis zum Stabsoffizier und erhielt sogar zwei hohe Verdienstorden.

Heute lebt er als Rentner in Kattowitz. Die Nachbarn wissen, was er getan hat. Immer wieder kommen junge Leute vorbei, errichten eine Mahnwache vor dem Haus und zünden Kerzen für die Opfer von Lamsdorf an. Henryk Kroll, Parlamentsabgeordneter der deutschen Minderheit, hofft sehr auf den Prozess: „Endlich werden diejenigen angeklägt, die die Verantwortung tragen für Leid und Tod unschuldiger Menschen. Im Lager saßen vor allem Frauen und Kinder, außerdem alte Männer. Jetzt muss es eine hohe Strafe geben. Wichtig ist nicht, dass der Angeklagte ins Gefängnis geht, wichtig ist das Symbol.“ Auch Jerzy Gorzelik vom „Verband der schlesischen Nation“ hält die Klage gegen Geborski für ein „positives Signal“. Allerdings befürchtet er, dass es der einzige Prozess gegen einen Lagerkommandanten im Nachkriegspolen bleiben werde.

Tatsächlich hat die Staatsanwaltschaft in sieben Fällen die Ermittlungen gegen Täter aufgenommen, die kurz nach dem Krieg Deutsche ermordet haben, die vertrieben werden sollten. Am bekanntesten ist das Verfahren gegen Salomon Morel, den ehemaligen Lagerleiter von Swietochlowitz und Jarworzno. Er soll für den Tod von über 1.000 Menschen verantwortlich sein. Polen und Deutschland verlangen von Israel seine Auslieferung. Die übrigen Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen.