Die Sehnsucht der Fremden

Allein mit einem Doppelbett: Angels Margarits Solostück Atlantic 306 beim Internationalen Sommertheater Festival  ■ Von Marga Wolff

Mit dem Fahrstuhl in den dritten Stock, von der Treppenhalle nach rechts in den schmalen Flur: Angels Margarit kennt den Weg. 306 steht in goldenen Ziffern an der schweren, halbrunden Tür am Ende des Ganges. Nichts hat sich verändert in Hamburgs Traditionshotel „Atlantic“, seit die katalanische Choreografin und Tänzerin hier vor zehn Jahren ihr Solo Atlantic 306 im Rahmen des Internationalen Sommertheater Festivals aufführte.

Sie selbst, meint Angels Margarit, habe sich dagegen sehr wohl verändert und anfangs auch gezögert, die Einladung von Sommertheaterleiter Dieter Jaenicke zur Wiederaufnahme des Solostücks beim diesjährigen Festival anzunehmen. 40 Jahre ist sie jetzt alt. Ein wenig entfernt habe sie sich schon von der flippigen jungen Frau von damals, die durch das Zimmer wirbelte.

Das Bett wurde jetzt durch ein größeres ausgetauscht. „Diesmal will ich allein mit einem Doppelbett sein“, erklärt die Tänzerin. „Ich will in meinem Tanz auch über den Zeitraum, der zwischen den beiden Soli liegt, sprechen.“

Ein Video, das zwischen die Fernsehprogramme geschaltet wird, wurde neu gedreht. Es fängt den Blick der Bewohnerin des Zimmers ein. Eindrücke einer Reisenden in einer fremden Stadt. Margarit konzentriert den Blick der Zuschauer. Der Raum wird reduziert auf seine Architektur und den Einfall des Lichts. „In erster Linie geht es darum“, erläutert die Choreografin, „wie Menschen andere Menschen betrachten.“ Den Zustand der Verlorenheit, Sehnsucht und Fremdheit will sie spürbar werden lassen. Deshalb kehrt sie meist auch kein zweites Mal an den gleichen Ort zurück.

1989 konzipierte Margarit das erste Solo der Hotelserie. Subur 305 fand in einem einfachen Strandhotel in dem katalanischen Badeort Sitges statt. Dort sah es Dieter Jaenicke und arrangierte eine Fortsetzung in Hamburg. „Ich gehöre nicht in diese Klasse von Hotels, war meine spontane Reaktion“, erinnert sich Margarit an den Moment, als sie zum ersten Mal das „Atlantic“ betrat. Doch die Selbstverständlichkeit, mit der sie hier aufgenommen wurde, machte ihren Aufenthalt zu einem wundervollen Erlebnis. Mittlerweile gastierte sie mit ihrem „Solo für ein Hotelzimmer“ in Montreal, in Venezuela, in Adelaide und in Luzern. „Das Stück“, beschreibt Margarit, „bleibt immer lebendig und ist mir sehr nah. Wie ein Gepäckstück, das man mit sich führt. Es ändert sich jedesmal ein wenig, mit dem Ort und mit mir.“

An Orten, die ihre eigene Geschichte erzählen, möchte sie mit ihrem Tanz neue Akzente setzen.

Angels Margarit gehört zur Pioniergeneration von Künstlern, die sich nach der Franco-Ära, in der Zeit des politischen Umbruchs Ende der 70er Jahre, erstmals wieder vollkommen frei artikulieren konnte. „In den Performing Arts hatten wir ja nichts, auf das wir uns berufen konnten. Es gab in Spanien ja nicht einmal das Ballett“, bemerkt sie.

Den Geist der Aufbruchstimmung von damals hat sie sich bewahrt, auch wenn sie heute darum bemüht ist, den Tanz und damit auch ihre Arbeit auf eine solidere Basis zu stellen. „Barcelona“, sagt sie, „ist nach wie vor die innovativste Stadt in Spanien. Doch die Kulturpolitiker nehmen diese Chance nicht wahr. Investiert wird vor allem in die Architektur und in den Sport.“ Ihrer Meinung nach hätte Barcelona das Potenzial, eine Kulturmetropole der Mittelmeerländer zu werden und damit auch für die darstellenden Künste in dieser Region Zeichen zu setzen.

Atlantic 306, 17. und 18. Juli 2000, jeweils 19.00, 19.20, 19.40, 20.15, 20.35, 20.55 Uhr Kempinski Hotel Atlantic