Im Dienst der Kirche

Kirchenakten zeigen: In Berlin profitierten 28 Gemeinden von Zwangsarbeitern. Bischof will „den planmäßigen Einsatz“ untersuchen

von NICOLE MASCHLER

Der Gesundheitszustand der Arbeiter war so schlecht, dass die Ärzte den Lagerleitern rieten, sie am besten gleich in ihre Heimat zurückzuschicken. Rund 100 Zwangsarbeiter aus Osteuropa mussten von 1943 bis zum Kriegsende auf einem Friedhof in Berlin-Neukölln schuften. Von den Arbeitern, die Gräber aushoben und die vielen Toten der Bombenangriffe beerdigten, haben auch 26 evangelische und zwei katholische Gemeinden profitiert – das belegen Dokumente der evangelischen Jerusalems- und Neuen Kirchgemeinde in Berlin-Kreuzberg.

Deren Pfarrer Olaf Köppen hatte den Aktenfund am Dienstag seinem Dienstherrn, Bischof Wolfgang Huber, gemeldet. Doch die Erkenntnisse sind nicht wirklich neu. Bereits 1997 hatte die Gemeinde ABM-Kräften den Auftrag erteilt, ein Register für das umfangreiche Archivmaterial zu erstellen. Im November legten diese ihr „Findbuch“ vor. Doch wie die Akten setzte auch das brisante Dokument im Archiv Staub an. „Das hat keiner ganz durchgelesen, weil es einfach zu langweilig war“, räumt Pfarrer Köppen ein. Erst als das Thema im Zuge der Entschädigungsverhandlungen aktuell wurde, erinnerte sich ein Kollege der Gemeinde Sankt Jacobi-Luisenstadt an entsprechende Hinweise. In einer Chronik war schon vor fünf Jahren über das Lager geschrieben worden.

Nun grub Pfarrer Köppen eilig den Abschlussbericht und eine Namensliste aus: In dem „ausländischen Arbeitslager“, wie es dort heißt, sollen vor allem Osteuropäer geschuftet haben. Wer das Lager geführt hat, ist unklar. Nur ein Name taucht auf: Max von Barbach, der Finanzbevollmächtigte des Lagers.

Nachdem der Kreuzberger Pfarrer seinen Fund gemeldet hatte, ging alles ganz schnell. So schnell, dass Olaf Köppen nicht mehr dazu kam, seine Briefe an die 28 betroffenen Gemeinden abzuschicken. „Das Dumme, dass die noch gar nichts von ihrem Problem wissen.“

Der Berliner Bischof Wolfgang Huber reagierte auf die Hiobsnachricht: „Es ist bedrückend, wie planmäßig auch Kirchengemeinden den kriegsbedingten Arbeitskräftemangel durch Zwangsarbeiter ausgeglichen haben.“ Eine Rechtfertigung hatte er allerdings ebenso rasch zur Hand: Es dürfe, so Huber, nicht übersehen werden, dass Kirchen auch Wirtschaftsbetriebe seien. Die „Arbeitsgruppe zur Erforschung des Kirchenkampfes in der NS-Zeit“ soll nun den Einsatz von Zwangsarbeitern in kirchlichen Einrichtungen erforschen.

Unterdessen hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) angekündigt, sich mit zehn Millionen Mark am Entschädigungsfonds der Wirtschaft zu beteiligen. Ein entsprechender Beschluss sei bereits vor wenigen Tagen gefasst worden, betonte ihr Sprecher Hannes Schoeb. Berichte über die Verstrickung der evangelischen Kirche in das Zwangssystem seien „nicht ursächlich“ für den Beitritt. Es sei an den Landeskirchen, Forschungen anzuschieben. Schoeb wollte nicht ausschließen, dass auch in anderen Gegenden Zwangsarbeiter für die evangelische Kirche gearbeitet hätten. Aber: „Konkrete Hinweise liegen uns nicht vor.“

Doch nicht nur die evangelische Kirche selbst, sondern auch das Diakonische Werk haben während der NS-Zeit von Zwangsarbeitern profitiert. Bereits im Dezember hatte es daher eine Umfrage gestartet. Ergebnis: negativ. Daraufhin erhielt der Hamburger Historiker Harald Jenner den Auftrag, „den Umfang des Einsatzes in der heutigen Nordelbischen Kirche“ zu untersuchen, so Michael Häusler, Leiter des Diakonischen Archivs in Berlin.Gestern legte Jenner den Kirchenoberen in Berlin seine Studie vor. Das Papier soll in der kommenden Woche veröffentlicht werden.

Die „Pilotstudie“ soll Hinweise geben, wie mit dem Thema künftig umgegangen werden soll. „Aber“, gibt auch Häusler zu bedenken, „jede größere Einrichtung hatte die Möglichkeit, ab 1942 auf Zwangsarbeiter zurückzugreifen.“ Kirche und Diakonien hätten Zwangsarbeiter vor allem in der Land- und Forstwirtschaft eingesetzt oder wie in Berlin auf Friedhöfen.

Dennoch zeigte sich die katholische Kirche gestern überrascht von den Enthüllungen. „Bisher war uns davon nichts bekannt“, betonte Andreas Herzig, Sprecher des Erzbistums Berlin. Die Quellenlage sei schwierig, weil das gesamte Bistumsarchiv 1943 verbrannt sei. Überhaupt müsse zunächst geklärt werden, ob die Zwangsarbeiter nicht vielleicht aufgenommen wurden, um sie vor Schlimmerem zu schützen.

Die Deutsche Bischofskonferenz will denn auch vorerst keine Entschädigung zahlen. Sprecher Rudolf Hammerschmidt schiebt die Verantwortung auf die Diözesen: Diese müssten von sich aus konkrete Fälle benennen. „Da können wir nicht reinregieren.“ Sollte sich herausstellen, dass doch mehr als die zwei Berliner Gemeinden am Zwangssystem beteiligt waren, müssten die Bistümer sich zusammentun. Zu einem möglichen Beitrag will sich Hammerschmidt nicht äußern.

Die Frage könnte allerdings bald auch für die katholische Kirche aktuell werden. Dann nämlich, wenn Pfarrer Köppen seine Briefe an die Berliner Gemeinden versendet.