Gewaltmarsch der Oranier

Bei Zusammenstößen zwischen Protestanten und Polizei in Nordirland werden ein Mensch getötet und dutzende verletzt. Auch Wirtschaft und Tourismus sind betroffen

BELFAST taz ■ Ein Toter und dutzende Verletzte – das ist die Bilanz der Gedenkfeiern des protestantischen Oranierordens in Nordirland in dieser Woche. Gestern marschierten zehntausende Oranier durch alle größeren Städte. Am Nachmittag sammelten sich bis zu 40.000 Protestanten im Belfaster Ormeau-Park.

In der Nacht zu gestern, als in den meisten protestantischen Vierteln Gedenkfeuer entzündet wurden, kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei. In Portadown, wo die Oranier die katholisch bewohnte Garvaghy Road belagern, wurden 23 Polizisten durch eine Granate verletzt. In Belfast feuerten Mitglieder der loyalistischen Ulster Freedom Fighters (UFF), die sich im Waffenstillstand befindet, vor Kameras Schüsse in die Luft. In der Hafenstadt Larne wurde ein prominenter Loyalist erschossen.

Die Ausschreitungen haben den nordirischen Friedensoptimismus, der nach der Wiedereinsetzung der Mehrparteienregierung im Juni aufgekommen war, zunichte gemacht. Eine US-Handelsdelegation hat ihren Besuch abgesagt. Nordirlands Handelsminister Reg Empey sagte: „Die Leute haben Zugang zu Investitionen in Höhe von sechs Milliarden Dollar. Die Fernsehbilder zeigen Nordirland wahrlich nicht als günstigen Ort für Investitionen.“ Der Tourismus leidet ebenfalls. „Die Ausschreitungen haben die Saison für dieses und nächstes Jahr praktisch ruiniert“, sagte Roy Baillie, Chef des Fremdenverkehrsamtes.

Die britische Regierung versucht, die extremen Protestanten zu beschwichtigen, indem sie die Reform der zu über 90 Prozent protestantischen Polizei entschärft. Im Verlauf des Nordirlandkonflikts seit Ende der 60er-Jahre haben Polizeibeamte wiederholt gemeinsame Sache mit loyalistischen Mordkommandos gemacht. Chris Patten, der letzte Gouverneur Hongkongs, hatte in seinem Bericht 175 Reformempfehlungen gegeben. Davon sind nur elf übrig geblieben, als das Gesetz vorgestern dem Unterhaus zuging.

Sinn Féin, der politische Flügel der IRA, und die katholischen Sozialdemokraten sind erbost über die Beibehaltung des Namens „Royal Ulster Constabulary“ (RUC), auch wenn er durch das neutrale „Northern Ireland Police Service“ ergänzt werden soll. Nordirlands Protestanten hatten scharf gegen die mögliche Abschaffung des Namens RUC protestiert. RALF SOTSCHECK