Alles wird gut – vieles sogar besser

■ Rezensenten besuchen Premieren. Wie die Stücke sich entwickeln, erfährt man aber selten. Die taz besuchte die letzten Opernaufführungen am Theater – und kam zu überraschenden Ergebnissen

Besuche der letzten drei Opernvorstellungen vor der Sommerpause des Bremer Theaters straften eine Meinung Lügen, dass da nicht mehr viel käme – eine Möglichkeit, die von zwischenzeitlichen Aufführungen durchaus genährt wurde. Premiere und laufende Spielzeit sind immer zweierlei, und die definitiv letzten Vorstellungen sind noch einmal etwas anderes.

Es war schön zu sehen und zu hören, wie dieses Operntheater entgegen aller kulturpolitischen Demütigungen sein auch überregional viel beachtetes Niveau halten konnte – der leidigen Frage der Stellenbesetzungen im Orchester zum Trotz. Noch immer fehlen zwölf der zugesagten Stellen und im Verhältnis zur Sollstärke eines A-Orchesters sogar 24 – eine Situation, die kein anderes Orchester erdulden muss.

Für die Aufführung der Oper „Adriana Lecouvreur“, die zurzeit nur noch in Mailand auf dem Spielplan steht, heißt das zum Beispiel, dass Aushilfsmusiker die Partie vom Blatt gespielt haben und auch viele andere keine Proben hatten. So was kann mal gutgehen, auf Dauer zermürbt ein solcher Zustand Moral, Motivation und Leistung. Dass das ausgepowerte Philharmonische Staatsorchester drei hörenswerte Leistungen zeigte, darf ich sagen und gleichzeitig davor warnen, dass diese Zeilen lesende PolitikerInnen sagen: „Seht Ihr, es geht doch!“.

Nein, es geht nicht. Und auch das war zu hören, besonders in „Don Giovanni“, was allerdings auch die heikelste Partitur ist. Rainer Mühlbach hatte Mozarts grandioses Werk einstudiert. An diesem letzten Abend war die Koordination Orchester/Bühne und die Balance der Stimmgruppen öfter mal ernsthaft gefährdet, was aber letzendlich den inneren Schwung der Aufführung nicht gefährdete.

Die Regisseurin Sabine Hartmannshenn lässt wichtige Fragen in dieser Inszenierung unbeantwortet: Sie zeigt nicht die Stände, um die es kurz vor der französischen Revolution geht, und sie zeigt auch nicht die drei verschiedene Tänze spielenden Orchester, die im ersten Finale sich mischen. Das ist schade, denn die alleinige Konzentration auf die inneren Zustände der Figuren reicht nicht ganz aus. Sie war allerdings an diesem Abend in scharfen Konturen vorhanden bei Armin Kolarczyck als hinreißendem Don Giovanni (direkt komisch in seiner Selbstüberschätzung), bei dem unverwüstlichen George Stevens als Leporello, vor allem bei Kristen Strejc als penetranter Elvira. Nicht gewachsen war an diesem Abend Sabine Hogrefe ihrer Partie als Donna Anna.

Zu begeisternden Formen mausert sich Christoph Loys Inszenierung von Hector Berlioz' „Damnation de Faust“. Ich habe – und gebe es gerne zu – die Aufführung schon fünfmal gesehen, und es ist faszinierend, wie die atemberaubenden Bilder Loys eine immer größere innere Logik entfalten. Dazu trägt eine Choreographie vor allem der Chöre bei, die so exakt zu sein scheint, dass sie gar nicht verschludern kann, sondern nur immer besser werden. Zu dem guten Eindruck trägt auch ein neuer Faust bei: Jean Francois Monvoisin, rein sängerisch um einiges besser als sein Premierenvorgänger. Tragende Säule dieser Aufführung ist auch Fredrika Brillembourg als Margarete, deren Stimme sich für diese Rolle in unerwartete Höhen entwickelt hat und dies – was nicht ganz selbstverständlich ist – gehalten hat. Und die Präsenz von George Stevens, der auch noch als Figaro zu sehen war, ist als Mephisto schier unschlagbar. Die Qualität dieses Singschauspielers liegt vor allem in seiner Fähigkeit, seine Brillanz im Ensemble zu entwickeln und nicht eine isolierte Schau zu betreiben.

Auch der Orchesterklang unter dem ungeliebten Günter Neuhold blühte. Dass am Ende das Margarete verklärende Licht in den Seilen hängenblieb, kommt zwar vor, hat aber hier die inhaltliche Aussage zerstört. Unbedingt ansehen, wer noch nicht drin war!

Auch der leicht bis schwer kitschige Außenseiter „Adriana Lecouvreur“ von Francesco Cilea kann sich drei Monate nach der Premiere sehen lassen. Die ambitionierte und bestechende Sicht der Regisseurin Gabriele Rech, die anhand des Liebesschicksals der Schauspielerin Adriana Lecouvreur fantasiereich und stringent durcharbeitet, welche und wie wir in unserem Leben eine Rolle spielen. Zu so einer krausen Geschichte muss einem erst einmal etwas einfallen, und wie das Gabriele Rech und auch Stephan Klingele am Pult gelungen ist, das sollte man sich in der nächsten Spielzeit unbedingt anschauen. Vielleicht wird sich dann ja auch Mihai Zamfir von seiner kompletten Überanstrengung wieder erholt haben, um der großartigen Rachel Tovey ein würdiger Partner zu sein.

Dass Inszenierungen verschlampen könnten, bestätigt mein kleiner Opernmarathon am Ende der Spielzeit nicht: Im Gegenteil, die Vorfreude auf den Wiederanfang ist schon da. Ute Schalz-Laurenze