Auch ich habe abgetrieben

Tracey Emin stellt in der Galerie Gebauer benutzte Tampons, gerahmte Pillenschachteln und Schwangerschaftstest aus. Die britische Künstlerin und Turner-Preis-Trägerin wehrt sich mit ihren Zeichnungen, Polaroids und Installationen gegen den Lauf der Dinge – ein bisschen Alltag gibt es nicht

von HARALD FRICKE

Tracey tanzt, Tracey ist betrunken, Tracey will Sex, Tracey hat einen Kater, Tracey tanzt wieder. Listenweise kann man sich durch das exhibitionistisch geführte Leben der britischen Künstlerin Tracey Emin wühlen, auf Campingzelten die Namen ihrer Liebhaber nachlesen oder auf zerwühlten Laken die leeren Kippenschachteln und Kondome einer Woche im Bett zählen. Mit dieser Installation war Emin letztes Jahr für den Turner-Preis angetreten und hatte ihn trotz des Ärgers in den Medien nicht bekommen. Denn das ist merkwürdig: England liebt Tracey, mag ihre freundlich-kaputte Art, ihren Hang zum Gin und ihren Sinn für schlechte Witze. Emin macht offenherzige Installationen und explizite Zeichnungen, mit denen sich die Briten von oben bis ganz unten identifizieren können. Vielleicht liegt es daran, dass sie selbst in der größten Konfusion stets nahbar bleibt.

Auch die Ausstellung in der Galerie Gebauer beginnt mit aggressiven Zeichen, die wie aus dem Tagebuch ausgeschnitten wirken. In vier kleinen Vitrinen liegen benutzte Tampons, darüber hat Emin gerahmte Pillenschachteln gehängt und Plastikstäbchen vom Schwangerschaftstest. Das ganze Arrangement wird von einem Text zusammengehalten, der in einer losen Satzfolge erklärt, was die Künstlerin über ihre Periode denkt: Durch die Blutung wird der Mensch zur Frau.

Einen Raum weiter sieht man dann diese Frau als Elend auf Zeichnungen kauern oder mit hochgerecktem Hintern „Memory & Nightmare“, so der Titel, aushalten. Plötzlich fühlt sich das Leben an, als wäre die Hölle, in die Menschen halt so mit ihrem Geschlecht hineinrutschen, kaum zu ertragen. Der Körper ist kein Schlachtfeld wie noch auf den Agitpostern von Barbara Kruger, nur ein geschundenes Loch, Verletzbarkeiten allerorten. Selbst die aus blauen Neonröhren montierten Umrisse von Busen und Beinen sehen wie ein gestürzter Engel aus. Dazu schreit ein Baby alle paar Minuten auf einem Video, in dem sich Emin im Bett unruhig hin und her wälzt.

Was ist geschehen? Schon ahnt man etwas von Schwangerschaft und Schuldgefühlen, bevor im letzten Raum die Gewissheit folgt: Hier wurde abgetrieben. Danach zumindest sieht das Szenario aus gestrickten Babysachen und zerquetschten Knetgummi-Embryos aus. Fiebrig sind alle Arbeiten in der Galerie auf den Juni 2000 datiert, gerade in dieser auch zeitlichen Bündelung wird die Dringlichkeit, wenn nicht Not nachvollziehbar, die Emin die letzten Monate gequält haben muss. Sie erzählt es ja selbst in einer kurzen Story, wenn man nah genug an den aufgestellten CD-Player herangeht: „Feeling pregnant“, heißt es da gleich am Anfang, und dann kommt die Überlegung, ob die Abtreibung besser für 375 Pfund in einer Londoner Klinik stattfinden soll oder per Pille in Paris.

Natürlich fällt der Test am Ende der Geschichte negativ aus, natürlich ist die Angst vor einer Schwangerschaft, die Panik im Bauch und die Lust auf viel zu viel Preiselbeersaft nur gespielt. Schließlich ist Emin „a 37 year old woman with a fucking good imagination“, das ist wahr. Zugleich liegt es an der dichten emotionalen Beschreibung, mit der Emin die diversen Stadien ihrer Weiblichkeit durchlebt, die die Mutterschaft als letzte Konsequenz so plausibel macht. Diese Logik stellt Emin allerdings mit ihrer Arbeit in Frage: Warum soll sich ein Mensch, zumal als young british artist, mit Konventionen und Klischees vom Glück oder Unglück – wie immer man/frau eine Schwangerschaft sehen will – zufrieden geben?

Die Stärke der Arbeit von Emin liegt in der emotionalen Aufladung, die sie den einzelnen Statements mit auf den Weg gibt. Die hingekritzelten Körperstudien, das Ensemble aus putzigen Strickwaren, das alles passt zu genau ins Gesamtbild, das die Künstlerin seit Jahren von sich entworfen hat. Gestern noch wild auf Sex, heute schwanger, so will es der Lauf der Dinge. Und dagegen wehrt sich Emin mit aller Kraft.

Dass sie dabei extrem kalkuliert vorgeht, kann man einem hochkopierten Polaroid ansehen: Voller Begeisterung schiebt sich Tracey lauter Geldscheine und glitzernde Münzen zwischen die gespreizten Beine. Die Arbeit heißt „I’ve got it all“. Auch die Realität von Künstlern hat ihren Preis, selbst wenn am Ende für den Betrachter bloß Fantasieprodukte herauskommen. Die eigenen Wünsche muss man sich halt selbst irgendwie zusammenleben.

Bis 29.7., Di.–Sa. 11–18 Uhr, Galerie Gebauer, Torstraße 220