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: Trotz allem ein Zeichen

Der Gedankengang ist bestechend: Was sind schon 20 Mark? Ein Abendessen mit dem/der Geliebten bei einem Italiener in Friedrichshain, eine einfache Karte bei der Hertha oder eben zwei Kinobesuche. Darauf zu verzichten, dürfte niemanden ernsthaft wehtun. Und es ist auch eine schöne Geste, die Günter Grass und andere linke Intellektuelle mit ihrem Aufruf verbinden, dass jeder erwachsene Deutsche dieses kleine Opfer für einen wirklich guten Zweck zu geben bereit sein sollte: der Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter. Diese haben meist seit 55 Jahren auf eine solche Geste gewartet, ja ein solches Zeichen nicht selten gar vergeblich eingeklagt.

 Insofern ist es richtig: Die Sache geht alle Deutsche an, auch die, die damals noch gar nicht geboren waren. Denn profitiert haben tatsächlich alle Deutschen, die damals gelebt haben. Unsere Vorfahren also und nicht nur die Industriellen und die Nazis. Denn nur durch die Millionen Zwangsarbeiter brach die Wirtschaft nicht zusammen, kam es zu keiner Hungersnot während der Kriegsjahre (anders als im Ersten Weltkrieg). Die Mütter mussten nicht in die Fabriken, um für den Endsieg zu schuften. Die in den Fabriken verbliebenen Deutschen konnten zu Vorarbeitern aufsteigen.

 Und dennoch bleibt ein schales Gefühl bei der Initiative der Intellektuellen: Denn in erster Linie war die Zwangsarbeit eben doch ein Ausbeutungssystem, von dem vor allem die Unternehmer profitierten. Es ist demnach ihre historische Bringschuld, die restlichen Milliarden aufzubringen, die immer noch im Stiftungstopf fehlen. Zudem zahlen wir Steuerzahler bereits über den Anteil des Bundes am Entschädigungsfonds fünf Milliarden Mark – und nur durch diese Geldmenge ist überhaupt eine einigermaßen ansehnliche Summe zustande gekommen. Schließlich können die Unternehmen ihre Zahlungen von der Steuer absetzen. Auch dadurch, durch geringere Steuereinkünfte, finanzieren die einfachen Deutschen den Anteil der Wirtschaft mit.

 Also keine 20 Mark zahlen? Doch! Denn man kann so auch als einfacher Bürger ein Zeichen setzen, indem man damit massenhaft einen Spiegel aufstellt: Wie knauserig im Vergleich dazu die Wirtschaft und ihr toller Fonds ist.

PHILIPP GESSLER