: Neuro darf nicht sterben
Ein engagierter Familienvater kämpft im Namen seiner Tochter für Barbies im Eigenbau
Die bunten Förmchen vor dem Haus, im Beet der Teddy mit der Gabel in der Brust, der Lärm aus dem Garten – dass hier Kinder wohnen, ist nicht zu übersehen und zu überhören. Drinnen aber, im Wohnzimmer der Familie Hövel, geht’s weniger lebhaft zu. Immer wieder hört Edgar Hövel (43) den Anrufbeantworter ab: „Wir haben deine Nummer, Hövel“, hört man dann eine Frauenstimme schnarren, „wir wissen, wo du wohnst, du Sau!“ Unüberhörbar: Hier wird einer bedroht. Unübersehbar auch, wer: Edgar Hövel. „Die wollen mich fertig machen“, sagt er, kreidebleich.
Aber der Reihe nach. Alles begann mit Becky, der bisher einzigen Barbie-Puppe, die im Rollstuhl sitzt – so wie leider auch Hövels Tochter Jule (7) seit ihrem Reitunfall. Als Jule die „behinderte“ Barbie-Puppe geschenkt bekam, hat sie geweint vor Glück. Doch dann das: Beckys klobiger Rollstuhl passte nicht in die übrige Barbie-Welt: weder ins Barbie-Auto noch ins Barbie-Haus. Beckys Rolli war zu breit für dessen Türen. Eine peinliche Panne des Barbie-Herstellers Mattel, die Edgar Hövel aber auszubügeln wusste. Mit wenigen Handgriffen baute er das Barbie-Haus rollstuhlgerecht um.
Seitdem aber war’s um den Familienvater geschehen. Als sei ihm ein „Barbieturat“ verabreicht worden, wie Hövel seine plötzliche Leidenschaft für Barbie-Puppen zu erklären versucht. Nur ein paar Wochen und Experimente später formte er aus Fimo-Knete, ein paar Löffeln Schusterleim und einem fein geschredderten Hartgummi-Dildo (Genaueres verrät er über die Mixtur nicht) seine erste Barbie. Jule und ihre Freundinnen waren von seiner Schöpfung begeistert. „Dabei fielen der dauernd die Arme ab“, lacht Hövels Frau Lena (41), „und Haare hatte die auch keine.“ Genau wie jenes leukämiekranke Mädchen aus Jules Schule, und so hatte Hövels erste Barbie bald ihren Namen weg: Leukämie-Barbie. „Leuko“ aber, wie sie bald nur noch hieß, war bei Jule beliebter als alle echten Barbies. „Wie sie immer ‚Chemotherapie‘ mit ihr spielte“, schwärmt Edgar Hövel noch heute, „richtig rührend.“ Um so trauriger, als Leuko „den Kampf gegen den Krebs verlor“ (Hövel): Die Puppe ging eines Tages völlig aus dem Leim. Da seien echte Tränen geflossen.
Bis Edgar Hövel „Neuro“ schuf: Neurodermitis-Barbie. Beim Brennen fleckig geworden, war sie, wie schon zuvor Leuko, eigentlich eine Missgeburt. Dennoch schloss Jule Neuro sofort ins Herz. „Neurodermitis ist nun mal eine sehr verbreitete Krankheit“, weiß Hövel, „da kennen sich die Kinder heutzutage gut mit aus.“ Hövel musste lauter mit echten Salben gefüllte Töpfchen basteln, damit Jule Neuros kranke Haut genauso einsalben konnte, wie sie’s von ihren neurodermitischen Freunden kannte. „Alles natürlich nur homöopathische Mittel“, versichert Hövel. Um auch die wechselnde Symptomatik der heimtückischen Hautkrankheit imitieren zu können, entwickelte Hövel kleine Pickel- und Hautschrunden-Tatoos, die Jule ihrer Neurodermitis-Barbie, wenn’s ihr mal schlechter gehen sollte, zusätzlich ankleben, aber auch wieder abwaschen konnte, wenn’s Neuro wieder besser ging.
Solche Tatoos hat Hövel mittlerweile als grobflächige Aufkleber auch für echte Haut im Angebot. „Damit sich Gesunde mit ihren neurodermitisgeplagten Freunden solidarisieren können“, so Hövel. „Die Dinger verkaufen sich gut.“ Wie Neurodermitis-Barbie selbst, von der mittlerweile über 200 Stück verkauft sind. Davon beflügelt, hat Hövel weitere „behinderte“ Barbies entwickelt. Etwa Asthma-Barbie, die dank einem eingebauten Chip tatsächlich sehr asthmatisch schnaufen kann, oder Muskoviszidose-Barbie, für die Hövel aus einem Nacktschneckenextrakt einen Schleim entwickelte, den man die Puppe abhusten lassen kann.
Dann aber wurden einige fundamentalistische Barbie-Sammlerinnen auf Hövel aufmerksam. Auf einem ihrer Sammler-Konvents kursierten Fotos seiner Eigenbauten. Etliche der Sammlerinnen zeigten sich entsetzt, sahen „die Barbie-Ãsthetik in den Schmutz gezogen“ und „die Barbie-Idee als verraten und verkauft“ an. Seitdem belästigen sie die Hövels mit ständigen Droh-Anrufen in ihrem Haus in Spröden bei Bremen, fordern Edgar Hövel auf, „seine widerlichen Barbie-Imitate sofort zu vernichten“. Andernfalls würde man ihn „bei Mattel verpfeifen“ und dafür sorgen, dass er „bis an sein Lebensende blechen“ müsse, „wegen Markenfälschung“. Edgar Hövel nimmt die Drohung ernst. Dennoch will er, „im Namen meiner Tochter“, für seine behinderten Puppen kämpfen: „Neurodermitis-Barbie darf nicht sterben!“ Durch Presseberichte erhofft er sich einen gewissen Schutz vor einer möglichen Klage durch den Spielzeugkonzern Mattel. Doch bis auf das heimische Wochenblatt und jetzt die taz hat noch keine Zeitung, geschweige denn das Fernsehen, berichtet. FRITZ TIETZ
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