Regentanz auf Beton

Wie, du machst Rollkunstlauf? Als Kind wurde Adrian Stolzenberg gehänselt, heute gehört er zur absoluten Weltspitze. Doch obwohl 21 Jahre jung, ist seine Karriere schon fast wieder beendet

von MARKUS GELING

Im Winter wird er anfangen, Medizin zu studieren. Vielleicht auch Biochemie, da ist er sich noch nicht ganz sicher. Aber eins steht fest: Wenn Adrian Stolzenberg nach dem Studium zu Vorstellungsgesprächen erscheint, bringt er gute Voraussetzungen mit. Denn der 21-Jährige hat keine Schwierigkeiten, offen und unverkrampft über seine Stärken und Schwächen zu reden.

Das könnte auch etwas mit seiner Karriere als Rollkunstläufer zu tun haben. Heute kann er natürlich jede Menge Selbstbewusstsein aus seinem Sport ziehen. Denn wenn sich die Juroren nicht geirrt haben, so ist er der beste Rollkunstläufer der Welt. Er gewann bei den letzten Europameisterschaften alle drei Titel (Pflicht, Kür, Kombination) und holte anschließend bei den Weltmeisterschaften im australischen Brisbane die Goldmedaille in der Pflicht sowie die besonders begehrte in der Kombination. Diese Erfolge bringen ihm in Deutschland zwar verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit ein. Aber in südlichen Gefilden, speziell in Italien oder Argentinien, wo der Eissport keine Rolle spielt, da genießt Stolzenberg eine hohe Reputation. Wenn er dort einen Wettkampf bestreitet und von Autogrammsammlern bedrängt und von Security-Leuten beobachtet wird, dann bekommt er eine Ahnung, was es bedeuten könnte, prominent zu sein.

Doch es gab auch Zeiten, in denen der Waltroper sich für seine Leidenschaft rechtfertigen musste. Mit vier Jahren begann er mit dem Rollkunstlauf – animiert durch seine Schwester Nicola. Da gab es noch keine Schwierigkeiten. „Doch als Junge“, so Stolzenberg, „bekommst du dann irgendwann das Problem, dass die anderen sagen: Wie, du machst Rollkunstlauf? Entweder du gibst dann auf, weil du nur gehänselt wirst. Oder du stehst dazu.“ Stolzenberg stand dazu. Auch weil sich seine Freunde eben als Freunde und nicht als neunmalkluge Sprücheklopfer erwiesen.

Einfach war es trotzdem nicht. Sich auf der Hallenfläche tänzerisch auszudrücken, behagte ihm nicht. „Als Junge ist man da ein bisschen verklemmt, weil das überwiegend Mädchen machen“, sagt Stolzenberg. „Es gibt Leute, denen liegt das, sich vor Publikum aufzuplustern. Aber bei mir war da früher eine sehr große Hemmschwelle.“ So machte er sich beim Laufen ganz klein, versuchte, sich zu verstecken. Doch mit der Zeit entdeckte er Ausdrucksformen, die zu ihm passten: „Ich fand heraus, dass man auch hart laufen kann, wenn man dazu eine dumpfe Musik auswählt.“ So ist seine neue Kurzkür ein wilder Regentanz. Mittlerweile weiß Stolzenberg auch, dass es gut aussieht, wenn er extrovertiert läuft.

Trotzdem ist es so geblieben, dass ihn vor allem die athletischen Elemente des Rollkunstlaufs faszinieren: Er ist schnell, er hat Kraft – und bei Dreifachsprüngen auf der Außenbahn keine Angst vor dem harten Beton. „Ich bin nicht der Künstler auf Rollen, ich bin der Springer.“ Dieses Selbstverständnis konkurriert mit dem Anliegen seines Choreographen Sandro Guerra. Der Italiener, früher selbst ein Spitzenläufer, hat Tanztheater studiert und will die künstlerischen Elemente des Sports erhalten. Zu Beginn einer Saison besucht Stolzenberg drei, vier Mal seinen Choreographen in dessen Heimat. Dann zeichnet er Guerras Kür per Video auf und studiert sie zu Hause mit seiner Trainerin Christiane Bloch ein. Mit der Hauptschullehrerin trainierte Stolzenberg schon, als er seine allerersten Pirouetten drehte. Er habe ihr „alles zu verdanken“, betont er.

Dennoch wäre ein regelmäßigerer Austausch mit dem Choreographen Guerra erstrebenswert. Aber der ist nicht zu finanzieren. Denn mit Rollkunstlauf lässt sich kein Geld verdienen. Um bei der WM in Australien starten zu können, musste Stolzenberg Flug und Unterkunft seiner Trainerin allein finanzieren. Für sich selbst bekam er ein wenig Fördergeld vom Verband und einen Zuschuss von der Stadt Waltrop. Immerhin hat er als einziger deutscher Läufer einen Ausrüstervertrag. So werden seine etwa 2.000 Mark teuren Schuhe gesponsert. Und dennoch: Ohne die finanzielle Unterstützung seiner Eltern könnte er den Sport nicht ausüben.

Es gibt unter den Rollkunstläufern nur einen, der diese Probleme nicht hat: Der Italiener Luca Darisiera ist der einzige Profi. Der 18-Jährige „ist ein Ausnahmetalent, einer, der die neuen Grenzen setzen wird“, glaubt Stolzenberg. Doch bei der nächsten WM im September in Richmond (USA) will der amtierende Weltmeister noch einmal gegenhalten. Denn bis dahin kann sich auch der Waltroper, der das letzte Jahr sehr intensiv bei der Sportförderkompanie trainiert hat, ganz auf den Sport konzentrieren. So absolviert er derzeit zwölf Trainingseinheiten in der Woche, am Wochenende kommen Lehrgänge und Wettkämpfe dazu.

Doch wenn das Studium beginnt, wird Stolzenberg seine Prioritäten wohl allmählich neu ordnen und Abschied vom Leistungssport nehmen müssen. Von seinen Erfahrungen als Rollkunstläufer kann er aber weiter profitieren. Er darf sich nur nicht verstecken.